postfossil mobil: Architektur aus Fahrrädern Eine Bushaltestelle am Campus Nord
Mitten auf dem Nordcampus der Technischen Universität Braunschweig gegenüber dem Hörsaalgebäude steht seit Kurzem eine überdachte Fachwerkkonstruktion. Um was handelt es sich bei dem filigranen Bau am Bienroder Weg 84? Ist es eine Haltestelle oder doch eher ein Kunstwerk? Diese Frage haben sich bestimmt schon einige gestellt. Das Gebilde in der Nähe des Holzpavillons wurde von Studierenden und Mitarbeitenden des Instituts für Architekturbezogene Kunst gebaut. Was hat es damit auf sich?
Räume des Wartens
Warten fällt vielen Menschen schwer, als ob wir dadurch Zeit verlieren. Doch Warten kann auch geschenkte Zeit sein, Gelegenheit für eine Pause, Gespräche oder zum Lesen. Dabei ist die Qualität der Räume und Orte, an denen wir uns aufhalten, von großer Bedeutung. „Das klassische Wartehäuschen erfüllt nur rein formal die Voraussetzungen für einen erträglichen Aufenthalt und entspricht damit dem allgemeinen Verständnis von Warten als langweilige Untätigkeit“, sagt Professorin Folke Köbberling, Leiterin des Instituts für Architekturbezogene Kunst (IAK). „Als Gegenentwurf dazu könnte ein neu gedachter Warteraum die verbrachte Zeit aufwerten oder sogar transformieren.“
So wie die Haltestelle auf dem Campus Nord. Ursprünglich sollte der ungewöhnliche Wetterschutz am Peterskamp im Querumer Forst stehen. Für diesen Ort hatten die Architektur-Studierenden ihre Konzepte im Rahmen eines Stegreifs, also eines spontanen Entwurfs, eingereicht.
Kunstobjekt korrespondiert mit Hörsaalgebäude
Gefragt waren spielerische Entwürfe für eine neue Art von Aufenthalts-, Fortbewegungs- oder Warteraum. Aus zahlreichen Beiträgen wurde schließlich das Konzept von Georg Flotho für die Umsetzung gewählt. Seine Idee: ein Unterstand aus aussortierten Fahrradrahmen, die damit noch einmal eine neue Bestimmung erhalten sollten. Durch das Verbinden mehrerer Rahmen entstand eine Art stabiles Fachwerk, eine Architektur aus Fahrrädern. Und ein Kunstobjekt, das am Nordcampus hervorragend mit dem Hörsaalgebäude korrespondiert, so Michael Zwingmann, künstlerischer Mitarbeiter am IAK.
90 Fahrradrahmen wurden für die Haltestelle verbaut. Zwar konnte das Team aus Studierenden und Mitarbeitenden unter Leitung von Professorin Folke Köbberling und Michael Zwingmann keine alten Rahmen verwenden. „Das wäre wegen der unterschiedlichen Formen zu aufwendig und statisch kaum zu berechnen gewesen“, erklärt Michael Zwingmann. Doch die von der Firma Canyon kostenfrei zur Verfügung gestellten, neuwertigen und einheitlichen Fahrradrahmen stammen aus einer auslaufenden Produktionsreihe. Das entspricht somit der Philosophie des Instituts, möglichst mit schon vorhandenen Materialien zu arbeiten, die sonst auf dem Müll landen würden.
Belastungstest bestanden
Die Konstruktion besteht aus fünf A-förmigen Einheiten, die mit Unterstützung der Braunschweiger Firma Alu-Gräbner zusammengeschweißt wurden. Anschließend mussten sie einen Belastungstest durch Professor Klaus Thiele vom Institut für Stahlbau bestehen.
Die als Sitzbank dienenden farbigen Kunststoff-Holzfaserplatten stammen aus Abfallcontainern der Firma Gräbner und auch die Betonplatten im Fußbodenbereich hatten zuvor 70 Jahre auf dem Vorplatz einer Kirche gelegen. Damit Studierende und Mitarbeitende an der Haltestelle im Trockenen sitzen, hat das Projekt-Team Plexiglasscheiben als Regenschutz angebracht. Und auch für Licht bei Dunkelheit ist gesorgt. Die von Axel Schwietale entwickelte kleine Photovoltaikanlage auf dem Dach erzeugt den Strom für die Beleuchtung.
Für Michael Zwingmann hat die Haltestelle am Nordcampus einen idealen Ort gefunden: „Sie wartet nur noch auf ihre Anbindung.“