Post aus … Turku Student Eduard Preis berichtet aus Finnland
Hier lebe ich momentan:
Aktuell lebe ich in der ehemaligen Hauptstadt Finnlands, Turku – auch bekannt unter seinem schwedischen Namen „Åbo“. Mit etwa 185.000 Einwohnern ist die Stadt etwas kleiner als Braunschweig und gilt dennoch als eine der „Großstädte“ Finnlands. Die beiden Amtssprachen sind Finnisch und Schwedisch.
Das mache ich in Turku:
Ich studiere hier an der schwedischsprachigen Åbo Akademi Germanistik und Geschichte und besuche interessehalber Kurse in den Bereichen Anthropologie und Folkloristik. Außerdem nehme ich an Philosophie-Kursen der finnischsprachigen University of Turku teil und bin hier auch als Tutor für die Vermittlung der Deutschen Sprache am Zentrum für Sprachen und Kommunikation tätig.
Mein Aufenthalt dauert insgesamt:
Zehn Monate. Ich bin seit Anfang August 2018 in Turku und bleibe bis Ende Mai 2019.
Darum habe ich mich für einen Auslandsaufenthalt entschieden:
Die Sehnsucht nach Veränderung und Abwechslung erwachte in mir. Da ich mit meinem Studium fast fertig bin, war dies eine der letzten Gelegenheiten als Student ins Ausland zu kommen. Ebenfalls entscheidend war der Wunsch internationale und interkulturelle Kontakte zu knüpfen, das Land und die akademische Kultur Finnlands kennenzulernen und insbesondere meine Englisch- und Schwedischkenntnisse zu verbessern – das alles trieb mich stark an, einen Auslandsaufenthalt anzustreben.
Leben vor Ort
So wohne ich in Turku:
Ich wohne im „Student Village West“, einem Studentenwohnheim, das nur 1,5 Kilometer von meinem Campus und der Innenstadt entfernt ist. Hier habe ich ein teilmöbliertes Zimmer mit eigenem Bad. Obwohl wir uns die Küche zu zwölft teilen, kommen wir erstaunlich gut damit klar und schaffen es, sie verhältnismäßig „sauber“ zu halten.
Aufgrund der guten Lage ist das Zimmer etwas teurer. Glücklicherweise sind die Strom- und Wasserkosten inkludiert, weshalb der preisliche Unterschied zu Braunschweig nur minimal ausfällt. Fast jedes Gebäude verfügt über eine eigene Sauna, die wir uns vier Mal im Monat privat reservieren können. Zusätzlich können wir auch öffentliche Saunazeiten wahrnehmen. Eine Waschmaschine und einen Trockner kann man gegen wenig Geld nutzen.
Was unterscheidet das Studieren in Finnland von dem in Deutschland?
Das Studium in Finnland unterscheidet sich dadurch, dass es weniger formalisiert ist und die Seminare immer eine sehr angenehme Gruppengröße von maximal 15 Teilnehmenden haben. Außerdem ist das akademische Jahr in Finnland nicht in zwei Semester geteilt, sondern in vier Perioden. Das bedeutet, dass man mehr Kurse belegen kann und die Semesterferien kürzer sind, als in Deutschland. Es gibt außerdem Self-Study Kurse, die mir bis dahin vollkommen unbekannt waren und die einen großen Teil des Studiums darstellen. Seminarbegleitendes Arbeiten und wöchentliche Assignments sind keine Besonderheit. Man ist während des Semesters mehr beansprucht als in Deutschland.
Auffällig ist, dass finnische Studierende sehr zurückhaltend sind. Die Diskussionen in den Seminaren sind oft nur kurz und gehen dadurch etwas weniger in die Tiefe, als die in Deutschland. Dem gegenüber stehen jedoch eine hilfsbereitere Studierendenschaft und viele Ansprechpersonen, die einem immer weiterhelfen können. Es wird sich um die Studierenden gekümmert und wir werden an die Hand genommen. Das zeigt sich insbesondere im Tutoren-Programm, das für ERASMUS-Studierende an jeder Universität eingeführt werden sollte. Bereits bei der Anreise wird man in Empfang genommen, Tutoren zeigen die Stadt und alle Bürogänge werden gemeinsam getätigt. Im Verlauf des Semesters werden die Aktionen etwas weniger, man unternimmt aber trotzdem noch viel zusammen. So verbringt man gemeinsame Stunden bei internationalen Dinnern, Street Festivals, Demos und Partys.
Die Benotung der Seminarleistungen hängt meistens von den Hausarbeiten und von wöchentlich eingereichten Essays ab, die man als Grundlage für die folgende Hausarbeit nutzen kann. Eine Note muss vom Dozenten innerhalb von zwei Wochen festgelegt werden. Dadurch stehen die Dozierenden unter größerem Zeitdruck, während es für Studierende leichter ist, das Abgabedatum zu verschieben. Das Notensystem ist außerdem ein anderes als in Deutschland. Während wir mit der Skala von 1,0 bis 4,0 arbeiten, werden in Finnland Noten von 1 bis 5 vergeben, wobei 5 die höchste Note ist und 1 die niedrigste.
Besonders typisch für mein Aufenthaltsland ist:
Ich konnte endlich wieder einen „richtigen“ Winter mit kalten Temperaturen (bis -21°C in Turku) erleben und monatelang den Schnee genießen. Für den finnischen Auslandsaufenthalt ist eine Reise ins Lappland typisch und eigentlich fast schon obligatorisch. Nordlichter, Rentiere, Huskys, Schneemobile und Saunen sind ebenfalls typisch. Ausflüge nach Stockholm, Tallinn und Helsinki stehen auch öfter auf dem Programm, denn die Städte sind von Turku aus recht schnell zu erreichen. Nach Helsinki braucht man gerade mal zwei Stunden, und von dort dann weitere zwei Stunden mit der Fähre nach Tallinn. Stockholm kann man mit der Nachtfähre sehr angenehm erreichen und so schnell einen spontanen Wochenendurlaub in Schweden verbringen.
Für Studierende gibt es viele unterschiedliche Arten des Feierns, neben den klassischen „Clubs“ finden häufig auch „Kitchen Partys“ im Studierendenwohnheim statt. Insbesondere „Sitz Partys“ stellen dabei eine eigene Form des Feierns dar: Die Party hat meistens ein Thema, zu dem man entsprechend etwas mitbringen oder anziehen muss. Es gibt auch viele Regeln, die beachtet werden müssen, wie z.B. dass man keine Bilder machen darf oder dass das Handy in der Tasche bleibt oder dass man zuerst der Nachbarin zuprostet, dann dem Nachbarn und dann der Person, die vor einem sitzt. Auf solchen Feiern wird sehr viel gesungen, gegessen und sich unterhalten. Oft finden auch Wettbewerbe zwischen den Tischen statt, sodass es selten langweilig wird und falls doch, dann beginnt man auf den Tisch zu klopfen und das nächste Lied wird angestimmt.
Das habe ich hier in den ersten drei Tagen gelernt:
Die Stadt hat zwei Namen: Turku (finnisch) und Åbo (schwedisch).
Es gibt mehr Saunas in Finnland als Einwohner.
Die Sauna ist das heiligste Kulturgut.
Selbst das 0,30 € Brötchen wird mit der Kreditkarte oder dem Smartphone bezahlt und alle Veranstaltungen werden über die Sozialen Medien wie Facebook oder Instagram beworben. Wer also nicht dort angemeldet ist, weiß oft nicht über anstehende Veranstaltungen Bescheid.
Die bisher größte Herausforderung während meines Aufenthaltes:
Die bisher größte Herausforderung, die ich bis jetzt ganz gut gemeistert habe, lag darin, nicht nur mit deutschen Studierenden in meiner Muttersprache zu kommunizieren, sondern auch mit finnischen und internationalen Studierenden. Das ist bei einem so verschlossenen Völkchen wie den Finnen echt nicht einfach… aber nicht unmöglich!
Das nehme ich von hier mit nach Hause:
Unvergessliche Erinnerungen, die man mit vorher Unbekannten teilt und die zu Freunden wurden. Die wunderschönen Trips, die man gemeinsam oder individuell geplant, oder ganz einfach bei einer Reiseagentur gebucht hat:
Dabei ging es für mich nach St. Petersburg (Russland), Tallinn (Estland), Stockholm (Schweden), Riga (Lettland), Vilnius und Kaunas (Litauen), Helsinki, Tampere, Rauma, Pori, Lappeenranta, Jyväskylä, Vaasa, Oulu, Lahti, Porvoo, Kotka, Rovaniemi, Inari, Saariselkä (finnische Teil des Lappland) (Finnland), Oslo, Bygones (Norwegen), Danzig (Polen) und Budapest (Ungarn).
Das alles habe ich auf etwa 5.000-6.000 Bildern festgehalten, von denen ich tatsächlich etwa 50 ausgedruckt und aufgehängt habe und die mich jeden Tag an bewegende Momente, Menschen und Orte erinnern.
Gut zu wissen
Diese landestypische Speise sollte man unbedingt probieren:
Das fragen sich die Finnen selbst … und kommen dann ganz plötzlich auf: Salmiakki (Salzlakritze), Salmiakki Snapsi (Lakritzlikör), Savulohi (geräucherter Lachs), Korvapuusti (Zimtbrötchen), Karjalanpiirakka (Gebäck) und Leipajuusto (Käse).
Welches Fettnäpfchen sollte man in Finnland vermeiden?
In Turku heißt es: „Turku ist die wahre Hauptstadt Finnlands!“ und in Helsinki: „Helsinki ist die einzig wahre Hauptstadt!“ – bitte merken! Und: Das Thema finnischsprachige-Finnen und schwedischsprachige-Finnen lieber meiden, es sei denn, ihr wollt ein paar Vorurteile über die jeweils anderen hören.
Außerdem spottet niemals über die Sauna – das gleicht hier einem Kapitalverbrechen.
Ebenso wie man einen Sami nicht nach der Anzahl seiner Rentiere fragt. Man fragt euch ja schließlich auch nicht nach eurem Kontostand.
Diesen Tipp gebe ich anderen Studierenden, die ins Ausland gehen möchten:
Habt keine Angst davor eure Freunde, Familie und Universität in Deutschland zu verlassen. Ihr seid nicht für immer weg und die Formalia sind mit ein wenig Aufwand ebenfalls in den Griff zu kriegen. Falls ihr je den Wunsch hattet, im Ausland zu studieren, dann macht dies – informiert euch, redet mit Freunden, Familie, lasst euch vom International Office beraten und bewerbt euch. Es liegt in eurer Hand. Bereuen und die Heimat vermissen werden ihr schon nicht, dafür bleibt gar keine Zeit beim Erkunden der neuen Kultur, des Landes und dem Knüpfen neuer Freundschaften! Selbst wenn es euch ein oder zwei Semester mehr kosten sollte, nehmt die Möglichkeiten wahr. Es ist wunderbar und einzigartig!!