Kernbegriffe für die „Stadt der Zukunft“ Interdisziplinäre Ringvorlesung startet als Online-Reihe
Weltweit leben mehr als die Hälfte der Menschen in Städten. Bereits Mitte des Jahrhunderts werden es voraussichtlich zwei Drittel sein. Die zunehmende Urbanisierung stellt die Städte vor große Herausforderungen. Die interdisziplinäre Ringvorlesung „Kernbegriffe für die Stadt der Zukunft“ zeigt Antworten auf Fragen, die im Forschungsschwerpunkt „Stadt der Zukunft“ der TU Braunschweig entwickelt wurden. Bianca Loschinsky hat mit Professor Eckart Voigts vom Institut für Anglistik und Amerikanistik über die Vorlesungsreihe gesprochen, die am 21. April als Online-Veranstaltung startet.
Herr Professor Voigts, Sie werden am 21. April gemeinsam mit Dr. Maria Marcsek-Fuchs in die Ringvorlesung einführen. Um was geht es in der Reihe?
Die Idee zur Ringvorlesung ist bei der letzten Klausurtagung 2019 entstanden, bei der die Teilnehmenden aus unterschiedlichen Fakultäten zusammengekommen sind und sich über die Zukunft des Forschungsschwerpunkts verständigt haben. Wir wollten eine genuin interdisziplinäre Vorlesungsreihe anbieten – mit Vorlesungen Forschender der Fakultät für Geistes- und Erziehungswissenschaften, der Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften bis hin zum Maschinenbau. Ein Studiengang, der sich dafür eignet, ist „Kultur der technisch-wissenschaftlichen Welt“ (KTW), da dieser versucht, Brücken zu schlagen zwischen den verschiedenen Disziplinen wie Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften und Geisteswissenschaften. Die sehr große Resonanz Studierender auf die Ringvorlesung zeigt, dass das Konzept trägt.
Zum Hintergrund: Mehr als 50 Prozent der Menschen leben inzwischen in Städten. Es ist ein Mikrolabor für alle Zukunftsfragen, die wir zu beantworten haben: Nachhaltigkeit, Mobilität und jetzt auch Infektionen. Die Stadt ist einerseits sehr verdichtet, die Menschen sind sehr nah beieinander. Das ist die traditionelle Stärke der Stadt, weil sich zum Beispiel auch schnell Informationen verbreiten lassen, weil sehr viel Bildung und Expertise auf engstem Raum zusammenkommt. Aber diese engen Räume haben natürlich auch problematische Aspekte, wie man gerade bei der Corona-Pandemie sieht.
Trotzdem ist die Stadt natürlich insgesamt ein Erfolgsmodell. Wenn man zum Beispiel nach Tokio blickt, wo 36 Millionen Menschen auf engstem Raum leben, die ganz andere Fragen aufwirft als deutsche Mittelstädte. Es lohnt sich also, sich die Stadt aus ganz verschiedenen Perspektiven anzusehen.
Was erwartet die Teilnehmenden der Vorlesungen konkret?
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben für die Reihe ihre Forschungsinteressen jeweils auf einen Begriff verdichtet. Wir beginnen mit dem „Wasser“, einer ganz wichtigen und für die Zukunft entscheidenden Ressource. Dazu wird Dr. Anja Schwarz vom Institut für Geosysteme und Bioindikation referieren. Weiter geht es mit „Lebensformen“, über die Professor Stefan Heuser vom Seminar für Evangelische Theologie und Religionspädagogik berichten wird. Da sieht man schon, wie die Naturwissenschaften und die Geisteswissenschaften aufeinander treffen. Professorin Elisabeth Endres vom Institut für Gebäude- und Solartechnik wird einen Vortrag zum Thema „Bauen“ halten und davor Professorin Barbara Thies vom Institut für Pädagogische Psychologie zum Thema „Bildung“. Hier wird erkennbar, dass ganz verschiedene Zukunftsfragen in der Stadt aufschlagen. Die Stadt ist wie ein Labor für die Zukunft. In der Stadt entscheidet sich, wo es hingeht.
Unter den Referentinnen und Referenten sind auch zwei externe Wissenschaftlerinnen. Dr. Maria Sulimma von der Universität Duisburg-Essen und Dr. Nora Pleßke von der Universität Magdeburg. Sie spricht über „Palimpsest“, die Stadt als Raum, in der verschiedene Kulturen übereinander liegen, und die alte immer noch durchscheint. Ein schönes Beispiel dafür ist die East End Moschee in London, die erst protestantische Kirche der Hugenotten war, dann den Methodisten diente, dann Synagoge wurde und immer wieder von den verschiedenen Einwandererinnen und Einwandern jeweils zu ihrem Gotteshaus gemacht wurde.
Wie sieht für Sie die „Stadt der Zukunft“ oder die lebenswerte Stadt von morgen aus?
Ich betrachte derzeit die Stadt von außen, da ich gerade auf dem Land lebe. Das Interessante ist, dass sich die Stadt in Abgrenzung zum Land definiert. Unser Institut hat deshalb auch im vergangenen Semester zwei Seminare dazu angeboten: eins zu „Ruralism“, also Landschaftsliteratur und eins zur Stadt, zum „Urbanism“. Die Studierenden konnten an beiden Seminaren hintereinander teilnehmen. Die Stadt-Land-Beziehung ist ganz wichtig.
Sicherlich ist die ökologische Stadt Konsens. Mobilität in der Stadt muss neu organisiert werden. Die Stadt der Zukunft ist aus meiner Sicht nicht unbedingt die Stadt der Individualmobilität. Das Fahrrad ist sicherlich ein Instrument, das in der Stadt zunehmend eine Rolle spielen wird. Die Stadt sollte natürlich grüner, nachhaltiger und gesünder werden. Es gibt da bereits vielversprechende Ansätze.
Mit welchen Herausforderungen sehen Sie die Stadt der Zukunft konfrontiert?
Das Hauptproblem der Städte ist das, was man „urban sprawl“ nennt, die Vorstädte, die sich in die Landschaft fressen, unglaublich viel Raum verbrauchen und falsche Mobilität verursachen. Es ist die Frage, wie man so etwas steuern kann. Dazu muss man die Bedürfnisse der Menschen kennen. Bürgerbeteiligung und Partizipation sind sehr wichtig. Eine „Smart City“ muss flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren.
Aber ich will auch gar nicht vorgreifen auf die Ringvorlesung, in der viele dieser Fragen behandelt werden.
Die Veranstaltungen der Ringvorlesung im Überblick
21. April: Einführung “Kernbegriffe für die Stadt der Zukunft”
Prof. Dr. Eckart Voigts, Dr. Maria Marcsek-Fuchs, Institut für Anglistik und Amerikanistik
28. April: Wasser
Dr. Dipl.-Biol. Anja Schwarz, Institut für Geosysteme und Bioindikation
12. Mai: Lebensformen
Prof. Dr. Stefan Heuser, Seminar für Evangelische Theologie und Religionspädagogik
19. Mai: Ressourcen
Prof. Folke Köbberling, Institut für Architekturbezogene Kunst
26. Mai: Bildung
Prof. Dr. Barbara Thies, Institut für Pädagogische Psychologie
9. Juni: Bauen
Prof. Dipl.-Ing. Elisabeth Endres, Institut für Gebäude- und Solartechnik
16. Juni: Wertschöpfung
Dr.-lng. Mark Mennenga, Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik
23. Juni: Pluralismus
Dr. Martin Peschken, Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt
30. Juni: Palimpsest
Dr. Nora Pleßke, Universität Magdeburg, Anglistische Kultur- und Literaturwissenschaft
7. Juli: Un-/Mittelbarkeit
Dr. Maria Sulimma, Universität Duisburg-Essen, City Scripts/Scripts for Postindustrial Urban Futures
14. Juli: Herrschaft
Prof. Dr. Johannes Wienand, Institut für Geschichtswissenschaft
21. Juli: Gerechtigkeit
Prof. Dr. Tatjana Schneider, Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt