16. Juli 2025 | Magazin:

„In Ruanda werden Landschaft und Architektur als Einheit gedacht“ Exkursion: Studierende informierten sich in Kigali zu Herausforderungen im Gesundheitsbau

Wie sieht gesundheitsfördernde Architektur in einem sich rasant wandelnden Land aus? Um dieser Frage nachzugehen, machten sich im Juni 2025 Architekturstudierende und Lehrende des Instituts für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau (IKE) der Technischen Universität Braunschweig auf den Weg nach Kigali, die Hauptstadt Ruandas. Anlass der Exkursion war ein Masterentwurf zur Rehabilitationseinrichtung für Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Dabei ging es auch darum, ein tieferes Bewusstsein für die sozialen, infrastrukturellen und gestalterischen Anforderungen im Bereich des gesundheitsschützenden Bauens zu schaffen und die Studierenden auf ihre Rolle als verantwortungsvolle Architekt*innen im globalen Kontext vorzubereiten.

Ruanda – ein Land, das trotz seiner geringen geografischen Größe und der bis heute spürbaren Last seiner Vergangenheit beeindruckende Entwicklungen vorweisen kann, hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Knotenpunkt für internationale Kooperationen im ostafrikanischen Raum entwickelt. Besonders die Hauptstadt Kigali präsentiert sich als dynamische, international geprägte und schnell wachsende Stadt. Mit der „Kigali Health City“, einer Bündelung verschiedener internationaler Projekte der Entwicklungszusammenarbeit im Stadtteil Masaka, setzt sie gezielt auf den Ausbau des Gesundheitssektors. Teil davon ist auch die vom IKE hauptverantwortlich geplante Sonderisolierstation „EFFO-Center of Excellence“ (EFFO-CoE).

Aussicht auf Ruandas Hauptstadt Kigali. Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Blick auf die Baustelle der Sonderisolierstation „EFFO-Center of Excellence“. Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Besichtigung der Baustelle der Sonderisolierstation „EFFO-Center of Excellence“. Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Workshop mit ruandischen Bachelorstudierenden der UR Architecture School. Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Architekturstudierende an der Fassade des IRCAD Africa (Institut de Recherche contre les Cancers de l'Appareil Digestif). Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Wanderung am Lake Muhazi. Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Aussicht während der Wanderung mit Lehmhütte und Ackerbau. Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Lernen durch Austausch und Begegnung

Für die neun teilnehmenden Studierenden war die Exkursion ein Schritt aus dem vertrauten Universitätsalltag hinaus in einen neuen geografischen, aber vor allem kulturellen Kontext. Vor dem Hintergrund des Genozids an der Tutsi-Minderheit und den gemäßigten Hutus im Jahr 1994 wäre eine solche Reise vor wenigen Jahrzehnten undenkbar gewesen. Besonders eindrucksvoll war daher der Besuch des Genocide Memorials in Kigali. Er hinterließ bei allen Teilnehmenden sowohl Bedrückung angesichts der beschriebenen Geschehnisse als auch Respekt gegenüber einer Gesellschaft, die sich seitdem im Prozess der Versöhnung befindet.

Johannes Quirin:
„Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir der Besuch des Genocide Memorial in Kigali, das mir auf eindrückliche und emotionale Weise die Geschichte Ruandas und die Auswirkungen des Genozids vor Augen geführt hat. Als Außenstehender empfand ich es als wichtig und richtig, diesen Teil der jungen Geschichte zu versuchen zu verstehen und zu verinnerlichen, gerade auch im Kontext aktueller innen- und außenpolitischen Entwicklungen.“

Neben der historischen Auseinandersetzung konnten die Studierenden im Verlauf der Exkursion unter anderem Einblicke in lokale Bauweisen und bei einem gemeinsamen Workshop mit Architekturstudierenden der UR School of Architecture auch in das Studium in Ruanda erlangen.

Marvin Schulze Gronover:
„In Ruanda werden Landschaft und Architektur als Einheit gedacht. Topografie, Vegetation und Klima sind hier integraler Bestandteil des Entwurfsprozesses. Innen und außen stehen im Dialog, Übergänge sind fließend. Die Exkursion verdeutlichte: Architektur ist keine isolierte Form, sondern eine kulturelle Praxis, verwurzelt im Alltag und im Ort – eine Perspektive, die auch unsere Lehre bereichert.

Das ruandische Büro EAACON, mit dem das IKE gemeinsam die Sonderisolierstation realisiert, und das international renommierte ruandisch-amerikanische Architekturbüro MASS Design, stellten den Studierenden einige ihrer bereits bestehenden sowie aktuell im Bau befindlichen Projekte vor. Im weiteren Programm bekamen die Studierenden außerdem Gelegenheit, die Arbeit der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) und der deutschen Botschaft in Kigali kennenzulernen.

Baustellenbesuch der vom IKE geplanten Sonderisolierstation. Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Bei der Besichtigung der Baustelle der Sonderisolierstation bekamen Pläne, die zuvor im Seminar besprochen wurden, begehbare Gestalt. Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Besuch der Deutschen Botschaft. Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Führung durch das Nyarugenge District Hospital. Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Der stellvertretende Dekan der UR Architecture Scool, Dr. Uwayezu Ernest, und Prof. Wolfgang Sunder vom Institut für Konstruktives Entwerfen, Industrie- und Gesundheitsbau. Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Wanderung am Stausee Muhazi. Bildnachweis: IKE/TU Braunschweig

Perspektivwechsel und gelebte Erfahrung

Bereits zu Beginn der Exkursion war von den Teilnehmenden ein gewisses Maß an Flexibilität und Improvisationstalent gefragt: Das Gepäck der Gruppe traf erst mit drei Tagen Verspätung ein. Diese anfängliche Herausforderung entwickelte sich jedoch rasch zu einem verbindenden Element innerhalb der Gruppe. Sich ihrer eigenen Privilegien bewusst, ließen sich die Teilnehmenden offen und neugierig auf die ungewohnte Umgebung ein.

Marvin Schulze Gronover:
„Das Tal wird hier anders genutzt als bei uns: Statt Verdichtung prägen Natur oder Anbau die Landschaft. Kigali wirkt modern und geordnet – doch nur wenige Kilometer außerhalb beginnt eine völlig andere Welt, in der die sozialen und infrastrukturellen Unterschiede enorm sind. Dinge werden hier von Menschen getragen, geschoben oder gezogen. Die Freundlichkeit und Neugierde der Menschen beeindruckten. Hier weicht Asphalt roter Erde, Ordnung weicht Improvisation, urbane Moderne ländlicher Schlichtheit und Armut.“

Architektur im Kontext von Gesundheit und Gesellschaft

Ein besonderes Highlight war außerdem der Besuch der Baustelle der vom IKE konzipierten Sonderisolierstation. Ein Moment, in dem sich Theorie und Praxis unmittelbar verbanden, wo Pläne, die zuvor im Seminar besprochen wurden, begehbare Gestalt bekamen. Der Besuch des Nyarugenge District Hospital ergänzte die Exkursion um einen Einblick in den Betrieb eines Krankenhauses.

Larissa Müller über das Nyarugenge District Hospital:
„Auffällig war der große Unterschied in der Gestaltung von Gesundheitsbauten. […] Die offene Architektur – mit Mehrbettzimmern für vier bis zehn Personen, offenen Fluren und zugänglichen Wartebereichen für Angehörige, unterscheidet sich deutlich von dem, was wir aus Deutschland kennen.“

Vor Ort stellte sich also für viele die Frage neu: Wie können Architektur und Gesundheitsversorgung zusammen gedacht werden, nicht nur in Deutschland, sondern auch in internationalen, kulturell und klimatisch anderen Kontexten?

Text: Nadine El-Ashi