First Generation Akademiker*innen stellen sich vor Markus Henke, Professor für Elektrische Antriebssysteme, als Role Model an der TU Braunschweig
Das Projekt Role Models: First Generation Akademiker*innen an der Technischen Universität Braunschweig macht soziale Vielfalt an unserer Universität sichtbar. Anhand von kurzen Interviews stellen sich verschiedene Mitglieder der TU Braunschweig vor, die als Erste*r in ihrer Familie studiert haben. Auf diese Weise werden akademische Vorbilder geschaffen. Außerdem können andere First Generation Students unterschiedliche Bildungsbiografien kennenlernen.
Wann haben Sie sich für ein Studium entschieden und was hat diese Entscheidung beeinflusst?
„Mathe und Physik liegen Dir – Maschinenschlosser oder Elektriker?“ So lautete die Frage in meiner vom Mittelstand geprägten, münsterländischen Heimat Oelde nach der 10. Klasse. Die Menschen in meinem Umfeld haben erstaunliche, innerbetriebliche Karrieren hingelegt, leiteten Abteilungen und Firmen – ohne Studium. Nach dem Motto ‚erstmal was Richtiges Lernen‘ startete daher meine Berufsausbildung zum Energieanlagenelektroniker in einem Unternehmen für Verpackungsmaschinen. In meiner Familie war ich als ältester Sohn der erste, der die Schule verließ und zu neuen Ufern aufbrach.
Nach meiner Ausbildung kam der Gedanke auf, dass ein ‚Job im Büro‘ als Meister oder Techniker vielleicht der nächste Karriereschritt sein könne. Damals in den 80ern gab es neben sehr wenigen Ausbildungsplätzen aber auch wenig attraktive Tätigkeiten in der Elektroentwicklung.
Daher: erstmal Bundeswehr. Dort traf ich auf sehr viele Leute, die klare Pläne für ihr Studium hatten. Auch in meinem Freundeskreis gab es einige Wagemutige, die ein Studium begannen. Daher sah ich mir die Thematik mal genauer an, besuchte Info-Tage an Unis und sprach mit ‚echten Ingenieur*innen‘. Das weckte langsam mein Interesse und meine Motivation. Also schrieb ich mich an der Universität Paderborn für ein Studium der Elektrotechnik ein.
Welche Hürden gab es auf Ihrem bisherigen Karriereweg? Was hat Ihnen geholfen, diese zu überwinden?
Hürden lagen im Rückblick eher ‚vor‘ als ‚im‘ Studium. Meine Eltern waren zwar beruflich in leitenden Positionen im Mittelstand verankert, hatten jedoch kaum Bezug zu akademischen Laufbahnen. Sie unterstützten das Studium sehr engagiert, aber so richtig trauten sie der akademischen Schiene erst, als mir mein Doktorvater nach der Promotion den Doktorhut aufsetzte – großer Stolz!
Im deutschen Bildungssystem bleibt niemand hängen, auch wenn man mal falsch abbiegt. Das war für mich Back-up genug, ein Studium ins Auge zu fassen. An der Uni angekommen, erschien mir die Situation zunächst surreal. Ältere Semester erzählten von 12 bis 16 Semestern Studium, Auslandsaufenthalten, Studierendenleben. Aber ich wollte eigentlich nur zielgerichtet fertig werden und dann wieder in die Praxis. Also vernetzte ich mich und fand Kommiliton*innen mit ähnlichen Plänen. Damit haben wir uns als Gruppe sehr gut zurechtgefunden und das Studium so gut meistern können wie die anderen Studierenden auch.
Auf welche persönlichen Ressourcen können Sie zurückgreifen?
Es gab Fähigkeiten, die ich mir auf meinem bisherigen Weg angeeignet hatte, die mir halfen, mich an der Uni zurechtzufinden: Ich war es gewohnt, mir Informationen zu beschaffen. Ich hatte gelernt, mit unterschiedlichen Charakteren klarzukommen und Dinge lösungsorientiert voranzutreiben. In meiner Berufsausbildung habe ich auch mal richtig herbe, eigenverantwortliche Niederlagen erlebt und konnte damit umgehen. Daher waren Klausuren und Prüfungen irgendwie immer eher sportliche Herausforderung als lästige Pflicht.
Welche Ideen haben Sie, um die Chancengleichheit für First Generation Students zu verbessern?
Wenn das treibende und beratende Elternhaus fehlt, ist zunächst mal eine Beratung über Lehrpersonen oder berufstätige Bekannte schon früh wichtig. So kann man erste Bedenken bei Schüler*innen und vor allem Eltern ausräumen und motivieren. In dieser Frühphase können Unis attraktive Rahmen durch Events wie die Kinder-Uni oder den Hochschulinformationstag HIT bereitstellen.
‚First Generation Students‘ starten an selber Linie mit gleichem Potenzial und eventuell sogar weniger äußerem Druck. Im Studium ist dann eine enge Vernetzung mit anderen Studierenden sinnvoll und wichtig. Auch dort kann die Universität helfen. Bei entsprechender Eigeninitiative sehe ich daher in Summe bei der ‚First Generation‘ absolut gleiche Chancen und gleiche Möglichkeiten für ein erfolgreiches Studium. Das wird mir im Übrigen auch gerade bei meiner jetzt studierenden Tochter bewusst, die genau dieselben Unsicherheiten und offenen Fragen im Studium bewältigt wie ich damals.
Welche Botschaft würden Sie Ihrem studentischen Ich aus heutiger Sicht mit auf den Weg geben?
Wenn man etwas wirklich will, schafft man das auch, aber von nix kommt nix! Das ist das Lebensmotto meiner Frau und passt hier hervorragend.