Ein Berufsleben für die grüne Oase Braunschweigs Der Leiter des Botanischen Gartens Michael Kraft geht in den Ruhestand
Fast vier Jahrzehnte prägte Michael Kraft den Botanischen Garten der Technischen Universität Braunschweig: als Gärtner, Leiter, Netzwerker und begeisterter Erzähler. Er hat Gewächshäuser neu aufgebaut, Flächen vor dem Verlust bewahrt, den Garten der Öffentlichkeit vertraut gemacht und Generationen von Studierenden begeistert. Für ihn war der Botanische Garten immer mehr als ein Arbeitsplatz – eine Leidenschaft und grüne Oase mitten in der Stadt. Nun geht Braunschweigs „grüner Daumen“ in den Ruhestand.

Michael Kraft prägte den Botanischen Garten über fast vier Jahrzehnte als Gärtner, Leiter, Netzwerker und begeisterter Erzähler. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig
Wenn Michael Kraft über Pflanzen spricht, klingt es, als erzähle er von alten Bekannten: vom Stinkenden Gänsefuß, der nach Fisch riecht, von der Blutbuche, dem ältesten Baum des Gartens, vom Sumpfkrug aus Venezuela, einer fleischfressenden Rarität, oder vom Mammutblatt aus Brasilien, das früher im Winter aufwendig mit Laub und Strohmatten geschützt werden musste. Rund 4.000 Arten mit 40.000 Exemplaren – für Kraft sind sie keine Nummern in einer Datenbank, sondern Weggefährten seines Berufslebens.
Seit 1987 arbeitet er im Botanischen Garten, seit 2001 leitet er ihn. Wer ihn begleitet, merkt schnell: Das ist weniger ein Job als eine Leidenschaft, fast schon eine Familiengeschichte. Sein Großvater führte eine Gärtnerei in Braunschweig, er selbst zog schon als Kind Tomaten auf dem Komposthaufen groß und staunte über die kräftigen Früchte. Er machte eine Ausbildung zum Gärtner, dann zum Floristen, später seinen Meister. Die elterliche Gärtnerei in dritter Generation zu übernehmen, kam für ihn jedoch nicht infrage. Stattdessen entschied er sich für den Botanischen Garten. „Diese Pflanzenvielfalt hier war für mich eine andere Welt, die mich sofort begeistert hat“, sagt Kraft über seinen Arbeitsplatz, den er auch gerne „die grüne Oase Braunschweigs“ nennt. „Braunschweig ohne diesen Garten? Das kann und will ich mir nicht vorstellen.“
„Ein Gärtner ist ein halber Erfinder“
Als Leiter prägte er den Garten sichtbar. Michael Kraft setzte sich dafür ein, dass Flächen erhalten blieben, die sonst verkauft worden wären. Er holte Sponsoren für den Neubau des Tropenhauses ins Boot, das 2007 eröffnet wurde. Unter seiner Leitung entstanden auch das Insektivorenhaus (2010) und das Victoria-Gewächshaus (2018). Er etablierte Baumpatenschaften, führte eine Pflanzendatenbank ein und initiierte Sonderausstellungen sowie Veranstaltungen. „Ein Gärtner ist ein halber Erfinder“, sagt Kraft. Für ihn bedeutete das, Lösungen zu finden, wenn es offiziell keine gab.
Dabei verlor er nie die Rolle des Gartens innerhalb der TU Braunschweig aus dem Blick: als wissenschaftliche Infrastruktur für Forschung und Lehre. Kraft sorgte dafür, dass Pflanzenbestände für Praktika und Lehrveranstaltungen zur Verfügung standen, organisierte Material für Forschungsprojekte und verstand den Garten zugleich als Schaufenster der Universität.
Sorgen bereiten ihm die Klimaveränderungen: lange Trockenzeiten, die die Bewässerung herausfordern, Starkregen, der Böden wegspült, fehlender Frost, der einst Schädlinge in Schach hielt. „Die heimische Insektenvielfalt ist auch weniger geworden“, sagt Michael Kraft. Für ihn ist die Natur ein Miteinander. „Wenn mehr Menschen das beherzigen würden, wäre vieles nicht so extrem aus dem Ruder gelaufen.“ Im Botanischen Garten verzichtet er seit Jahrzehnten auf Chemie. Stattdessen setzt Kraft auf Nützlinge wie die australischen Marienkäferlarven gegen Wollläuse. „Ohne Schädlinge keine Nützlinge. Dieses Gleichgewicht ist wichtig.“
Pragmatiker, Teamplayer, Erzähler

Bei verschiedenen Themenführungen gab Michael Kraft sein Wissen an wissbegierige Zuhörer*innen weiter. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig
Doch Kraft ist kein Schwarzmaler. Er ist Pragmatiker, Organisator, Netzwerker und Teamplayer. Seinem Team gab er viele Freiheiten, den Garten mit eigenen Ideen zu gestalten. „Wenn es schiefgeht, tragen wir es alle zusammen. Aber Freiheit muss man haben, sonst wird das nur eine eintönige Soße.“
Bekannt wurde er auch als passionierter Erzähler. Vor zehn Jahren begann er mit Themenführungen im Garten mit teils über 90 Teilnehmenden. Die „Victoria-Nächte“, wenn die Riesenseerose erblühte, wurden zu einem Spektakel. „Die Schlange reichte oft bis zur Humboldtstraße“, erinnert sich Kraft. Er brachte Veranstaltungen wie den Pflanzen- und Büchermarkt oder die Angebote der „Grünen Schule“ mit auf den Weg, um den Garten noch stärker in die Stadtgesellschaft zu öffnen.
Abschied und Neubeginn
Nach fast vier Jahrzehnten tritt Michael Kraft nun in den Ruhestand. „Die Botanik werde ich nicht hinter mir lassen, nur den Zeitdruck“, sagt er. Auf seiner Liste stehen Zeit mit den Enkeln, Reisen, Camping und Besuche in botanischen Gärten weltweit. Ganz verschwinden wird er aus dem Botanischen Garten dennoch nicht: Als Mitglied im Förderverein wird man ihn bei Veranstaltungen und Exkursionen weiterhin antreffen – oder an seinem Lieblingsplatz, dem Wasserfall.

Michael Kraft an seinem Lieblingsort im Botanischen Garten, dem Wasserfall. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig
Seine Wurzeln wirken weiter, auch über den Ruhestand hinaus. Der grüne Daumen verabschiedet sich. Aber sein Garten bleibt.