Die Quartier-Macherin Architektur-Absolventin Ayat Tarik Kamil leitet Projekt zur Stadtteilentwicklung
Welche Potenziale bieten Stadtteile wie der Schwarze Berg im Braunschweiger Norden? Wie kann das Quartier belebt werden? Und wie können die Bewohner*innen die Entwicklung mitbestimmen und mitgestalten? Diese Fragen stellte sich Ayat Tarik Kamil während ihrer Masterthesis im Studiengang Architektur. Doch bei einer theoretischen Arbeit sollte es nicht bleiben. In einem leer stehenden Ladenlokal hat sie jetzt mit der Initiative Quartier:PLUS das Quartier:HAUS eröffnet.
Das Quartier:HAUS im Einkaufszentrum Ligusterweg soll zum kreativen Treffpunkt werden, so wünscht es sich Ayat Tarik Kamil, es soll als Anlaufstelle für Anwohner*innen des Schwarzen Berges dienen. Hier sollen sich Menschen austauschen, über aktuelle Themen im Stadtteil sprechen, eigene Projekte verfolgen. „Wir wollen gemeinsam mit Anwohner*innen mögliche Zukünfte für das Quartier entwickeln“, sagt die Architektur-Absolventin.
Doch von vorn. Ayat Tarik Kamil wohnt selbst seit sieben Jahren am Schwarzen Berg. Während der Corona-Lockdowns hat sie sich bei Spaziergängen den Stadtteil etwas näher angeschaut, hat sich gefragt, warum viele Geschäfte im Einkaufszentrum leer stehen und warum manche Ecken verwahrlost wirken. Deshalb hat sie das Gespräch mit Anwohner*innen gesucht und ist auf den Bürgerverein Am Schwarzen Berge e.V. und weitere mögliche Partner*innen zugegangen, um etwas im Quartier zu ändern.
Stadtentwicklung aus der Gesellschaft heraus
Ayat Tarik Kamil nennt sich selbst Quartier:MACHERIN: „Ich als Architekturschaffende denke, dass Stadtentwicklung aus der Gesellschaft heraus und mit ihr gedacht werden sollte. Planer*innen sollten durch ihre Expertise als Vermittler*innen in dem Prozess involviert sein. Mit Quartier:PLUS möchte ich die Mischung aus Top-Down- und Bottom-Up-Planung verbinden, um eine integrative, nachhaltige und gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung anzukurbeln.“
In ihrer Masterthesis am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt (GTAS) hat sie dafür Strategien erarbeitet und damit den Grundstein für die Initiative Quartier:PLUS gelegt, deren Projektleiterin sie ist. Ihre Arbeit ist ein „Katalog der Möglichkeiten“, der aufzeigt, wie zukünftige Planungen für Grün- und Freiräume, für Verkehr und gemeinschaftliche Nutzungen nach Prinzipien des Gemeinwohls neu gedacht und umgesetzt werden können.
„Ayat bearbeitet mit ihrer Initiative am Schwarzen Berg Fragen, die weit über das Quartier, sogar weit über die Stadt Braunschweig hinaus von Interesse sind”, ergänzt Professorin Tatjana Schneider, die die Seminar- und später die Masterarbeit inhaltlich begleitet hat. „Ayat verankert Impulse für zukünftige Quartiersentwicklungen an einem konkreten Ort und besetzt dabei einen privaten Leerstand, an dem sie aufzeigt, wie gemeinnützige Funktionen neue gemeinwohlorientierte Freiräume schaffen können. Für mich zeigt das Projekt anschaulich, was in der Stadt erreicht werden kann, wenn Wissenschaft, Universität, Zivilgesellschaft und Politik zusammenarbeiten. Es macht deutlich wie Wissenschaft und Stadt miteinander in produktiven und transformativen Dialog treten können.“
„Hier passiert einfach nichts“
Während Ayat Tarik Kamil an ihrer Masterthesis arbeitete, war sie auch immer am Schwarzen Berg unterwegs. Für ihre „Quartier-Talks“ hat sie eine Art mobiles Wohnzimmer aufgebaut, „kritische Orte“ sichtbar gemacht und die Bewohner*innen gefragt, was sie sich für ihren Stadtteil wünschen.
Da ist zum einen die Infrastruktur: ein Bankautomat, ein Postschalter, Ärzte stehen auf der Wunschliste, eine bessere Anbindung mit dem öffentlichen Nahverkehr. „Viele Stadtteile außerhalb der Innenstädte haben mit diesen Herausforderungen zu kämpfen“, erklärt die Architektur-Absolventin. Corona wirkte hier wie ein Brennglas.
Der Tenor vieler Jugendlicher am Schwarzen Berg: „Hier passiert einfach nichts.“ Deshalb fahren sie in die Innenstadt, treffen sich an der Bushaltestelle. Das Leben findet nicht mehr im Quartiert statt. Doch nicht nur den jungen Leuten fehlt ein Ort, an dem man zusammenkommt.
Der Schwarze Berg bietet viele Potenziale
Mit dem Quartier:HAUS soll sich das ändern: Ein Eltern-Kind-Treff hat hier jetzt sein „Zuhause“, über regelmäßige Nachbarschafts-Cafés können sich die Bewohner*innen kennenlernen. Ausstellungen von Anwohner*innen oder Flohmärkte, Feste, ein Nachbarschaftsgarten und Blumenwiesen sind geplant. Das Quartier:HAUS soll die pulsierende Zentrale und Anlaufstelle für Ideen, Gruppen und Teams sein. Dabei passt sich der 40 Quadratmeter große ehemalige Laden den Bedürfnissen an. Der Raum verändert sich also ständig.
So wie sich auch die Bestandsgebäude in dem Braunschweiger Stadtteil verändern könnten. Ayat Tarik Kamil schlägt in ihrer Masterthesis beispielsweise eine vorgesetzte Wintergartenstruktur als Ummantelung eine der Wohnanlagen vor. Diese wirke nicht nur isolierend, sondern vergrößere auch den individuellen Wohnraum und biete neue Möglichkeiten zur Gestaltung. „Der Schwarze Berg ist eine Ressource, die man auch nutzen sollte“, sagt die angehende Architektin, die neben der Projektleitung von Quartier:PLUS auch beim GTAS beschäftigt ist. „Die als Baukastensystem angelegte Siedlung bietet viele Potenziale. Man sollte überlegen, wie man diese Stadtteile stärken und damit ressourcenschonend Wohnraum schaffen und aufwerten kann.“
Natürlich, immer indem die Bewohner*innen mit einbezogen werden, sagt sie. Architektur versteht Ayat Tarik Kamil nicht als „reines Bauen“, sondern als Planung, die gemeinsam mit den Menschen gedacht werden muss.
Deshalb wünscht sie sich, dass das Quartier:HAUS von den Bewohner*innen am Schwarzen Berg angenommen wird, dass sie sich für ihr Quartier einsetzen, Verantwortung übernehmen, sich mehr mit ihrem Stadtteil identifizieren, dass hier nicht nur bald bunte Wiesen blühen, sondern zwischen den Häusern etwas entsteht, das allen zugutekommt.