Den Unterricht besser machen Svenja Vieluf ist neue Professorin für Schulpädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft
Was bedeutet eigentlich Unterrichtsqualität? Wie lässt sie sich untersuchen? Welchen Einfluss hat Heterogenität auf den Unterricht? Und wie wandelt sich Schule durch Fluchtmigration? Mit diesen Fragen setzt sich Svenja Vieluf in ihrer Forschung auseinander. Seit dem 1. April 2022 ist sie neue Professorin für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Unterrichtsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft.
Sind Sie gut an der TU Braunschweig angekommen?
Danke, das bin ich. Neu anzukommen ist ja immer ein Abenteuer … Aktuell kämpfe ich mich noch durch die kleineren Herausforderungen des Alltags, aber es findet sich immer schnell eine Lösung und ich fühle mich sehr freundlich aufgenommen und gut unterstützt im Kollegium.
Warum haben Sie sich für die TU Braunschweig entschieden?
Überzeugt haben mich die gute Ausstattung und Infrastruktur für Forschung und Lehre, die familiäre Atmosphäre der TU, aber auch die Familienfreundlichkeit der Universität. Ich sehe hier viele Anknüpfungspunkte für gemeinsame Projekte mit Kolleg*innen – sowohl am Institut für Erziehungswissenschaften als auch interdisziplinär – und freue mich auf ein anregendes Arbeitsumfeld.
Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Unterrichtsqualität? Auf was konzentrieren Sie sich da genau?
Aktuell beschäftige ich mich intensiv mit der theoretischen Frage, was „Unterrichtqualität“ bedeutet und wie sie sich untersuchen lässt, wenn man bedenkt, dass Unterricht eine komplexe soziale Interaktion ist und zudem Lehrpersonen nicht einfach Wissen „eintrichtern“ können, sondern den Schüler*innen Lerngelegenheiten eröffnen. Auch versuche ich bei den Überlegungen zu berücksichtigen, dass alle Schüler*innen in vielerlei Hinsicht unterschiedlich sind und deshalb auch im Unterricht nicht auf dieselbe Art und Weise optimal unterstützt werden können.
Das sind keine neuen Gedanken, aber sie werden in der quantitativ-empirischen Forschung bislang nicht ausreichend berücksichtigt – weil das tatsächlich auch nicht einfach ist. Hier möchte ich kreative Lösungen finden. Und ich möchte noch besser verstehen, wie bestimmte Interaktionsmuster im Unterricht – gerade auch Formen des Umgangs mit Unterschieden zwischen den Schüler*innen – zu Routinen werden, welche Rolle dabei Emotionen spielen, und wie diese Routinen verändert werden können.
In einem weiteren Schwerpunkt beschäftigen Sie sich mit der Heterogenität in Unterricht und Schule. Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie hier und wie sollten Lehrkräfte mit dem Thema umgehen?
Die zentrale Herausforderung für Lehrkräfte sehe ich in den widersprüchlichen Erwartungen, die in puncto „Umgang mit Heterogenität“ an sie herangetragen werden. Die Lehrpersonen sollen einerseits alle Schüler*innen individuell fördern, andererseits auslesen. Sie sollen Eigenheiten und Bedürfnisse berücksichtigen, aber alle gleichbehandeln. Sie sollen individualisierte Lernangebote für jedes Kind bereitstellen, aber soziale Eingebundenheit herstellen. Die Widersprüche lassen sich nicht auflösen. Sie können nur reflexiv bearbeitet werden. Das heißt, die Lehrpersonen können ihr eigenes Handeln im Kontext der zugrundeliegenden Strukturen und übergreifenden Praktiken kritisch hinterfragen, Handlungsspielräume erkennen, aber auch deren Grenzen ausloten, und individuelle Mittelwege finden. Eine solche Auseinandersetzung ist aber sehr anspruchsvoll und auch nicht unbedingt immer befriedigend.
Im Bereich der Schulkulturforschung sind Sie am Projekt „Schulischer Wandel in der Migrationsgesellschaft – Schulkultur(en) im Kontext aktueller Fluchtmigration (SchuWaMi)“ beteiligt. Dies ist gerade jetzt auch ein sehr aktuelles Thema. Wo liegt hier der Fokus?
Mit Hilfe eines sogenannten Mixed-Methods-Designs untersuchen wir, wie Schulen auf verschiedenen Ebenen mit dem Thema Fluchtmigration umgehen, welche inner- und außerschulischen Bedingungen diesen Umgang prägen und wie Schüler*innen, Lehrpersonen, Schulleiter*innen und Sozialarbeiter*innen die relevanten Bedingungen und Prozesse an ihren Schulen wahrnehmen. Außerdem analysieren wir, ob und wie sich dieser Umgang – aus der Perspektive der Schulleitungen und Lehrpersonen – durch die vermehrte Aufnahme von Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung nach 2015 in den Einzelschulen gewandelt hat. Unsere Datenerhebung wurde leider durch die pandemische Situation erheblich beeinträchtigt. Trotzdem haben wir einige interessante Erkenntnisse gewinnen können und sind aktuell mitten in der Auswertung und Publikation der gewonnenen Daten.
Was hat Sie dazu bewogen, in diesen Bereichen zu forschen?
Tatsächlich stand am Anfang der Zufall: Eine Freundin leitete mir eine Ausschreibung für ein Praktikum am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation weiter. Ich bewarb mich, wurde eingestellt und bin schließlich für eine Promotion und darüber hinaus in der Schul- und Unterrichtsforschung geblieben. An dem Thema reizt mich die hohe gesellschaftliche Relevanz sowie seine Komplexität. Schulen sollen fachliches Lernen und individuelle Bildungsprozesse unterstützen. Sie tragen so einerseits dazu bei, dass Wissen weitergegeben wird und Gesellschaften fortbestehen, andererseits schaffen sie auch Grundlagen für Innovation und gesellschaftlichen Wandel.
Werden künftige Generationen besser mit unserem Planeten umgehen? Werden sie es schaffen, transnational eine Sicherheitsarchitektur zu verankern, die Kriege unwahrscheinlicher macht? Die Grundsteine hierfür werden auch in den Schulen gelegt. Junge Menschen verbringen zudem viel Lebenszeit dort und werden auch individuell stark von den Erfahrungen, die sie in der Schule machen, geprägt. Gleichzeitig ist Unterricht eine komplexe soziale Interaktion. Deshalb finde ich es persönlich wichtig und vor allem auch spannend zu verstehen und zu erklären, was in Schulen wie und weshalb geschieht, ob es anders sein könnte und, wenn ja, wie und welche Konsequenzen dies haben könnte und welche nicht.
Mit welchen Projekten werden Sie sich an der TU Braunschweig beschäftigen?
Zunächst werde ich an dem zuvor erwähnten Projekt „SchuWaMi“ weiterarbeiten. Kürzlich habe ich zudem einen Antrag auf Förderung gestellt für ein Vorhaben, das Anerkennungsprozesse im Unterricht fokussieren soll. Darüber hinaus werde ich mich perspektivisch mit der Frage beschäftigen, welche Emotionen verschiedene Formen des Umgangs mit Heterogenität im Unterricht auslösen können und welche Folgen dies langfristig für die individuelle Entwicklung und Lernmotivation der Schüler*innen haben kann. Auch werde ich die Rolle von Schulkulturen für die Ausgestaltung des Unterrichts erforschen. Schließlich werde ich mich auch aktiv in die hiesigen Forschungsschwerpunkte einbringen. Einen großen Teil meiner Arbeit macht aber natürlich auch die Lehre aus und insofern ist eines meiner aktuell wichtigsten Projekte, meine bisherigen Konzepte für die Lehre an den lokalen Kontext anzupassen und weiterzuentwickeln.
Was war Ihr schönstes Erlebnis als Wissenschaftlerin?
Spontan fällt mir da kein einzelnes Ereignis ein, sondern eher ein wiederkehrender Typ von Ereignissen: Besonders freue ich mich immer, wenn – nach langer Zeit der Findung, des Nachdenkens, der verworfenen Entwürfe und Kontroversen – ein wissenschaftliches Gruppen-Produkt entstanden ist, etwa ein Forschungsantrag oder ein Zeitschriftenartikel. Wenn man dann zurückblicken kann auf die Zweifel und Unsicherheit am Anfang des Prozesses – an dem nur eine vage Idee stand – und jetzt zufrieden ist mit dem, was man ko-konstruiert hat, und sich bewusstmacht, was man in dem Prozess gemeinsam gelernt hat, das ist ein schönes Gefühl, finde ich.
Was macht für Sie gute Lehre aus?
Ich möchte den Studierenden im Rahmen meiner Lehre ermöglichen, einen Überblick über theoretische Perspektiven auf ein Thema zu gewinnen, sich selbständig vertiefendes theoretisches Wissen anzueignen, das gewonnene Wissen bei der Planung und Analyse der eigenen Praxis anwenden zu können und dieses aber auch kritisch in seinem Kontext zu reflektieren. Meine Rolle als Dozentin sehe ich als Impulsgeberin für und unterstützende Begleiterin von Lernprozessen der Studierenden. In den Seminaren, die ich gebe, sollen sich die Studierenden möglichst selbstbestimmt mit den Themen auseinandersetzen können. Sie sollen die Möglichkeit haben, sich selber als kompetent zu erfahren und ihre Kompetenzen auszubauen. Und sie sollen sich auch sozial eingebunden fühlen.
Deshalb biete ich Entscheidungsspielräume, bemühe mich um Methodenvielfalt, nutze Projektarbeit und kooperatives Lernen und achte darauf, dass im Seminar konstruktiver Austausch möglich ist und eine freundliche wertschätzende Atmosphäre herrscht. Wichtig ist mir auch, diversitätssensibel zu handeln. Natürlich gelingt die Umsetzung dieser Ansprüche nicht immer optimal. Deshalb versuche ich, meine Lehre auch immer wieder kritisch zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Dabei hilft auch das Feedback der Studierenden.
Das neue Semester hat gerade begonnen. Was möchten Sie den Studierenden mit auf den Weg geben?
Das Studium ist eine privilegierte und spannende Zeit, in der vieles offen ist, in der man einige Freiheiten hat, vieles ausprobieren kann, auch sich selbst, seinen Interessen nachgehen darf und viele interessante Menschen treffen kann (hoffentlich nun auch wieder öfter „live“ und von Angesicht zu Angesicht). Genießen Sie diese Zeit unbedingt und auch trotz der angespannten und unsicheren Weltlage!