5. Dezember 2024 | Magazin:

Braunschweiger Forscherinnen untersuchen hochgiftiges Erbe im Permafrost Expedition ins subarktische Kanada zu Bohrschlammgruben

Das Auftauen der Permafrostböden in der Arktis fördert ein beunruhigendes Erbe vergangener Industrialisierung zutage: Bohrschlammgruben mit potenziell giftigen Abfällen bedrohen die empfindlichen Ökosysteme der Region. Im kanadischen Mackenzie-Delta, einem Gebiet mit einer außergewöhnlich hohen Dichte an Süßwasserlebensräumen, könnten diese Altlasten kontaminierte Stoffe in die Umwelt freisetzen – mit möglicherweise verheerenden Folgen für Ökosysteme und die lokale Bevölkerung. Professorin Antje Schwalb und Doktorandin Emma Cameron vom Institut für Geosysteme und Bioindikation der Technischen Universität Braunschweig unternahmen im Rahmen des vom BMBF geförderten ThinIce-Projekts eine Expedition in die Nordwest-Territorien in Kanada, um dort Seen und Kleingewässer zu untersuchen.

Bohrschlammgrube in der Nähe von Tuktoyaktuk, Nordwest-Territorien, Kanada, mit Anzeichen eines Einsturzes, der zur Bildung eines Kleingewässers auf dem Grubendeckel führte. Bildnachweis: Moritz Langer/ Vrije Universiteit Amsterdam

Zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren wurde das Mackenzie-Delta intensiv für die Öl- und Gasförderung erschlossen. Mehr als 230 Bohrschlammsümpfe – speziell ausgehobene Gruben zur Entsorgung von Bohrabfällen – wurden damals angelegt. Diese Gruben, die ursprünglich stabil im Dauerfrostboden eingebettet waren, könnten durch das fortschreitende Auftauen des Permafrostbodens instabil werden und Schadstoffe freisetzen. Diese Stoffe gelangen leicht in angrenzende Gewässer und könnten die Wasserqualität sowie die biologische Vielfalt in der Region nachhaltig schädigen. Darüber hinaus sind indigene Gemeinschaften, deren Lebensunterhalt und Gesundheit eng mit intakten Ökosystemen in der Arktis verbunden sind, diesen Risiken direkt ausgesetzt.

Ökologische Risiken von Bohrschlammgruben

Deshalb analysierten Professorin Antje Schwalb und Doktorandin Emma Cameron Seen und Kleingewässer in der Nähe der Bohrschlammgruben, die von Öl- und Gasunternehmen mit salz- und ölhaltigen Bohrflüssigkeiten gefüllt und mit dem Aushub wieder abgedeckt wurden. Ziel des ThinIce-Projekts (gefördert vom BMBF) unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), ist es, grundlegende Erkenntnisse über die ökologischen Risiken von Bohrschlammgruben im Mackenzie-Delta unter sich ändernden Klimabedingungen zu gewinnen. Dabei arbeitet das Forschungsteam auch eng mit kanadischen Wissenschaftler*innen, regionalen Behörden und der Landesverwaltung der Inuvialuit-Gemeinschaften zusammen.

Insgesamt vier Wochen verbrachten Professorin Antje Schwalb und Emma Cameron in den kanadischen Nordwest-Territorien. Zu den Standorten, die abseits des Inuvik-Tuktoyaktuk Highway zum Arktischen Ozean liegen, gelangten sie mit dem ThinIce-Team zu Fuß und wurden dabei von der Inuvialuit Land Administration und dem Northwest Territories Geological Survey unterstützt. Die Wissenschaftlerinnen untersuchten vier Sümpfe und entnahmen Proben aus 15 Gewässern, darunter fünf Sedimentkerne, um die Veränderungen in der aquatischen Umwelt seit der Anlage der Gruben und darüber hinaus zu rekonstruieren. „Diese Sedimentkerne werden dazu beitragen, große Wissenslücken in der Region zu schließen. Sie ermöglichen es uns zu verstehen, wie sich der Inhalt der Sümpfe auf die umliegende Umwelt ausgewirkt hat, da es in der Region keine Langzeitüberwachung gibt“, sagt Emma Cameron. Die Proben werden nun auf Bioindikatoren und Schadstoff-Biomarker untersucht. Die Wissenschaftlerinnen erhoffen sich dadurch Einblicke in den ökologischen und chemischen Zustand der Gewässer sowohl in der Gegenwart als auch durch die Rekonstruktion früherer Bedingungen.

Professorin Antje Schwalb und Emma Cameron sammeln Sediment- und Wasserproben aus einem kleinen See in der Nähe eines Bohrschlammsumpfes. Bildnachweis: Moritz Langer/ Vrije Universiteit Amsterdam

Einige Mitglieder des ThinIce-Teams an ihrem ersten Studienstandort Anfang August. Bildnachweis: Rachele Lodi/ Università Ca' Foscari Venezia

Emma Cameron stabilisiert drei kurze Sedimentkerne, die aus einem großen See in der Nähe von Tuktoyaktuk entnommen wurden. Bildnachweis: Antje Schwalb/ TU Braunschweig

Polarlicht über den Reihenhäusern in Inuvik, Northwest Territories, Kanada. Bildnachweis: Mehriban Aliyeva/ Alfred-Wegener-Institut

Die Reise durch die subarktische Tundra, um einen Bohrschlammsumpf zu erreichen. Bildnachweis: Emma Cameron/ TU Braunschweig

Emma Cameron zieht das Boot, das sie für die Probenahme verwendet hat, mit Hilfe eines lokalen Umweltbeobachters. Bildnachweis: Antje Schwalb/ TU Braunschweig

Frühmorgendliche Fahrt auf dem Inuvik Tuktoyaktuk Highway. Bildnachweis: Moritz Langer/ Vrije Universiteit Amsterdam

Professorin Antje Schwalb und Emma Cameron bei der Untersuchung einer Sedimentprobe aus einem Teich am Rande einer Bohrschlammgrube. Bildnachweis: Moritz Langer/ Vrije Universiteit Amsterdam

Emma Cameron hilft dem Geophysik-Team, einen Graben auszuheben, um ein ERT-Messkabel (Electrical Resistivity Tomography) zu vergraben. Bildnachweis: Neri Fromm/ RWTH Aachen University

Emma Cameron bei der Entnahme von Sediment- und Wasserproben aus einem Kleingewässer, der sich auf dem Grubendeckel gebildet hat. Bildnachweis: Antje Schwalb/ TU Braunschweig

Subarktische Bedingungen

„Die Studienregion ist besonders stark vom Klimawandel betroffen. Rekordtemperaturen, erodierende Küsten und Waldbrände sind die Regel“, sagt Emma Cameron. Bei der Ankunft in Inuvik lagen die Temperaturen in den mittleren 30ern und schwankten während des gesamten Aufenthalts. An manchen Tagen fielen sie auf etwa fünf Grad Celsius, begleitet von starkem Wind und Regen. „Das arktische Wetter ist immer unvorhersehbar, aber das gesamte Team hat sich bemerkenswert gut angepasst, obwohl es für viele die erste Erfahrung in der Arktis war.“ Außerdem ist die Tundra aufgrund ihrer Instabilität schwierig zu durchqueren, so dass das Team schwere Ausrüstung auf dem Rücken tragen und Schlitten hinter sich herziehen musste.

Im März 2025 wird das ThinIce-Team in die Region zurückkehren, um unter winterlichen Bedingungen zu arbeiten. Emma Cameron wird dann Proben und Sedimentkerne von der Eisoberfläche der dann gefrorenen Gewässer nehmen. Eine weitere Sommerexpedition ist für August 2025 geplant. Während dieser Expeditionen wird das Forschungsteam weitere Schlammgruben besuchen, um das Verständnis für die Hinterlassenschaften der intensiven Öl- und Gasförderung vor rund 50 Jahren zu vertiefen.