„Architektur beginnt mit dem Sehen“ Professor Fahim Mohammadi leitet das neue Institut für Gestaltungmethodik und Darstellung
„Das Handzeichnen macht das Denken sichtbar.“ – Für Professor Fahim Mohammadi ist Architekturdarstellung weit mehr als Technik – sie ist der Ort, an dem Wahrnehmung, Haltung und Gestaltung ineinandergreifen. Seit 1. September 2025 leitet er das neue Institut für Gestaltungsmethodik und Darstellung und übernimmt die Grundlehre in diesem Bereich. Sein Ziel: Studierende lernen, genau hinzusehen, Irritationen zuzulassen und eine Position zu entwickeln. Im Interview mit Heiko Jacobs und Bianca Loschinsky spricht er über aktives Sehen, internationale Vernetzung und das „Labor für ästhetische Wissensproduktion & Transfer“.

Professor Fahim Mohammadi leitet das neue Institut für Gestaltungmethodik und Darstellung. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig
Herr Professor Mohammadi, herzlich willkommen! Sie wechseln nach zehn Jahren an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart an unsere Universität. Auf was freuen Sie sich in Braunschweig?
Mich hat an der TU Braunschweig immer beeindruckt, dass Architektur hier nicht isoliert, sondern im Kontext vieler Disziplinen gedacht wird. Hier war die Bildung der Fakultät 3 als Zusammenschluss von Architektur, Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften ihrer Zeit voraus! Für meine Lehre heißt das: Studierende sollen von Anfang an ihre eigene Wahrnehmung ergründen und die Strukturen freilegen, die zu ihr führen. Mit dem Wissen, diese Wahrnehmung gestalterisch-prozessual zu fassen, gewinnen sie Zugang zu einer eigenen Haltung, und können diese in den interdisziplinären Diskurs einbringen. Darin liegt der Kern meines gestalterisch-methodischen Beitrags zur Grundlehre: Wahrnehmung schärfen, Ausdrucksformen entwickeln und das Erkannte weitergeben können.
Das neue Institut für Gestaltungsmethodik und Darstellung ist Teil eines größeren Gefüges, in dem viele Kolleg*innen mit ihren jeweiligen Schwerpunkten zusammenwirken. Meine Aufgabe ist es, die gestalterisch-methodische Basis zu stärken, also jene Grundlagen, auf denen Studierende ihre eigenen Positionen entwickeln und zur Sprache bringen können.
Ab Oktober starten Sie in der Grundlehre Gestaltung und Darstellung. Die Erstsemesterstudierenden lernen bei Ihnen das Sehen und Zeichnen. Was verstehen Sie unter „aktivem Sehen“ und wie lernen Studierende „Sehen“?
Aktives Sehen ist kein bloßes Registrieren von Eindrücken. Es heißt, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen und sich zugleich auf Irritationen und Überraschungen einzulassen, und das ohne unmittelbaren Zweck. Schon Alexander Gottlieb Baumgarten, der Begründer der Ästhetik als eigenständiger Erkenntnisform, hat auf diese Art der Wahrnehmung neben der rein rationalen hingewiesen.
Für die Studierenden bedeutet das: Sie lernen, Wahrgenommenes nicht nur festzuhalten, sondern es zum Ausgangspunkt für Vertiefung und Erkenntnisgewinn zu machen, und daraus schlüssig eine gestalterische Haltung zu entwickeln. Entscheidend ist, dass Wahrnehmung in eine Form übersetzt wird, die reflektiert, weitergedacht und mit anderen geteilt werden kann. Wichtig ist dabei auch, dass es curricular überhaupt Zeit und Raum für diese Auseinandersetzung gibt.
Welche Rolle spielt das Zeichnen per Hand heute noch? Wieviel Tradition finden wir noch in der Lehre der Architekturzeichnung?
Das Handzeichnen bleibt in der Architektur unverzichtbar – nicht als nostalgische Tradition, sondern weil es das Denken sichtbar macht. Wer zeichnet, verbindet Auge, Hand und Wahrnehmung unmittelbar miteinander. Und im reflexiven Blick auf die eigene Zeichnung wird sichtbar, worauf man achtet und worauf nicht: Zeichnen ist immer auch ein Filter. Es legt offen, welche Strukturen man für wesentlich hält und welche durch das Raster fallen. Baumgarten hat mit seiner Idee einer sinnlichen Erkenntnis (Cognitio Sensitiva) betont, dass wir durch ästhetische Praxis feine Unterschiede wahrnehmen können, die das reine Begriffsdenken nicht erfassen würde. Und Kant hat in seiner „Kritik der Urteilskraft“ hervorgehoben, dass wir im ästhetischen Urteilen entscheiden, was darstellungswürdig ist. Genau das geschieht beim Handzeichnen: Es schult nicht nur die Hand, sondern die Fähigkeit, im Wahrgenommenen zu gewichten, zu differenzieren und eine Haltung sichtbar zu machen.
Tradition spielt dabei eine Rolle, aber nicht im Sinne des bloßen Bewahrens. Vielmehr führt das Handzeichnen die Studierenden in eine Übung ein, die seit Jahrhunderten die Architekturausbildung prägt: präzise sehen, entscheiden, konzentrieren. Heute stehen uns selbstverständlich auch digitale Verfahren und maschinelles Sehen zur Verfügung, doch das Handzeichnen bleibt ein Gegenpol: persönlich, unmittelbar und unersetzlich in seiner Fähigkeit, die Wahrnehmung zu schärfen und Selbstreflexion zu ermöglichen. In diesem Spannungsfeld liegt seine bleibende Bedeutung.
Ab wann kommen dann digitale Inhalte auf die Studierenden zu?
Sehr früh. Das lässt sich heute gar nicht anders denken. Aber entscheidend ist, dass sie nicht an die Stelle der Grundlagen treten, sondern sie ergänzen. Wer nicht gelernt hat, genau hinzusehen und Wahrgenommenes zu reflektieren, wird auch digitale Werkzeuge, ob CAD, 3D-Modellierung oder KI-gestützte Darstellung, nur oberflächlich bedienen. Deshalb ist mir wichtig, dass zunächst eine gestalterisch-methodische Basis gelegt wird: Sehen, Wahrnehmen, Darstellen, Vermitteln. Erst darauf bauen die digitalen Verfahren auf und eröffnen ihre ganze Stärke.
In Braunschweig haben wir dafür sehr gute Voraussetzungen: Hier gibt es technologische Exzellenz. Meine Aufgabe ist es, diese mit einer fundierten Grundlagenausbildung zu verbinden, sodass Studierende digitale Mittel nicht unreflektiert nutzen, sondern als bewusste Erweiterung ihres Denkens und Gestaltens verstehen.
Sie waren zuletzt auf Ihrer Professur in Stuttgart sehr international vernetzt, mit Visiting Schools in London und vor allem der ELIA, der European League of Institutes of the Arts. Setzen Sie das aus Braunschweig fort? Welche Möglichkeiten eröffnen sich daraus?
Internationalität ist für mich kein Zusatz, sondern Teil des Selbstverständnisses einer Universität. Über meine Arbeit im Vorstand von ELIA, der European League of Institutes of the Arts, habe ich einen Einblick in unzählige europäische Kunsthochschulen und Architekturfakultäten gewonnen, von deren Stärken, aber auch von deren Herausforderungen.
Das eröffnet für Braunschweig viele Möglichkeiten. Zum einen ganz konkret für die Studierenden: internationale Begegnungen, Austauschprogramme, gemeinsame Projekte. Zum anderen aber auch auf institutioneller Ebene: ELIA ist eng mit Fragen von Higher Arts Education verbunden, und mit der Rolle künstlerischer Prozesse in Bildung insgesamt. Dazu zähle ich ausdrücklich auch die Wahrnehmung von Stadträumen, von Gewachsenem, Gebautem und Nicht-Gebautem. Über das Department Architektur ist die TU Braunschweig Teil dieser europäischen Diskussionen.
Wichtig ist mir zudem, dass auch die Mitarbeiter*innen daran teilhaben: über Symposien, Akademien, Austauschprogramme. Vernetzung geschieht nicht nur auf Leitungsebene, sondern durch die Menschen, die täglich lehren und forschen. Davon profitiert die gesamte TU Braunschweig, nach innen wie nach außen.

Professor Fahim Mohammadi mit TU-Präsidentin Angela Ittel und Professorin Elisabeth Endres, Departmentsprecherin Architektur. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig
Was sind die Hauptprojekte, an denen Sie an der TU Braunschweig arbeiten werden?
Das zentrale Projekt ist zunächst der Aufbau des Instituts für Gestaltungsmethodik und Darstellung. Hier soll die Grundlehre gestärkt und profiliert werden als gestalterisch-methodischer Baustein im Gefüge vieler Fächer, von der Baukonstruktion über die Bauphysik bis zum architektonischen Entwerfen.
Parallel dazu entsteht das LÆB – das Labor für ästhetische Wissensproduktion & Transfer. Sein Ansatz ist, technologische oder gesellschaftliche Gegebenheiten, seien es quantentechnologische Phänomene, ökologische Krisen oder digitale Transformationen, ästhetischen Prozessen auszusetzen. Es geht nicht darum, diese Themen naturwissenschaftlich zu erklären, sondern sie phänomenologisch zu betrachten: Was machen sie mit Künstler*innen, Architekt*innen, Designer*innen? Wie verändern sie deren Perspektiven, Prozesse, Erzeugnisse? Die Ergebnisse, ob aus studentischen Projekten, kollektiver Forschung oder individueller Arbeit, bilden wiederum ästhetisch vermittelte Zugänge für die Gesellschaft. Sie können in Ausstellungen, Publikationen oder anderen Formaten sichtbar werden.
Wichtig ist mir, dass das LÆB auch innerhalb der TU vernetzend wirkt: als Schnittstelle zwischen Architektur, Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften, aber auch im Austausch mit Physik, Informatik oder den Kulturwissenschaften. So kann ästhetische Forschung in einen Dialog mit technischen und naturwissenschaftlichen Fragen treten, und Braunschweig wird als Ort sichtbar, an dem diese Welten produktiv zusammengeführt werden.
Was hat Sie dazu bewogen, sich im Bereich Architekturdarstellung zu fokussieren?
Mich hat an der Architekturdarstellung immer fasziniert, dass sie weit mehr ist als eine Technik, um abzubilden. Darstellung ist der Ort, an dem Wahrnehmung, Denken und Haltung sichtbar werden. In der Darstellung entscheidet sich, was wir für wesentlich halten, was wir hervorheben, wie wir Zusammenhänge begreifen. Sie ist kein nachgelagerter Schritt, sondern Teil des Entwerfens selbst.
Man könnte sagen: Darstellung ist wie eine Linse, sie schärft, was wir sehen, und macht es für andere lesbar. Dazu kommt mein Interesse an Irritationen, Brüchen, am „Glitch“, am Spiel. All das findet in der Darstellung seinen Raum. Sie ist nicht nur Mittel zum Zweck, sondern eine eigenständige Form der Erkenntnis, und deshalb der Bereich, in dem ich mich verortet habe.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag in drei Schlagworten aus?
Wenn ich meinen Arbeitsalltag auf drei Schlagworte verdichten müsste, dann wären es: Beobachten, Strukturieren, Vermitteln.
Beobachten, weil jeder Tag neue Situationen, Atmosphären und Menschen bringt, die ich ernst nehme und die mich leiten. Strukturieren, weil all diese Eindrücke, Aufgaben und Projekte gefasst und geordnet werden müssen, um wirksam zu sein. Und Vermitteln, weil es letztlich darum geht, Gedanken, Haltungen und Erkenntnisse so zu teilen, dass sie Resonanz erzeugen, bei Studierenden, in der Universität, in der Gesellschaft.