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Aufmerksamkeitsentlastung oder Kontrollverlust? Automatisches Fahren – schneller, sicherer und angenehmer? 16. November 2021 | 17:00 h - 18:30 h

Technisierung und Automatisierung durchdringt den Lebensalltag von Patienten wie auch Therapeuten. Im Umgang mit Patienten ist routinemäßig auch grundlagenpsychologisches Hintergrundwissen und lebensweltliche aktuelle Entwicklungen von Nutzen. Ein Beispiel hierfür liefert dieser Vortrag über Risiken und Möglichkeiten von automatisiertem Fahren. Assoziationen liegen nahe zum Thema Kontrollverlustängste durch technische Automatisierungen, wie auch Bewältigung verschiedener Aufmerksamkeitsanforderungen. Solche Themen sind regelhaft Gegenstand in Psychotherapien, wenn es um Bewältigung von Alltagsanforderungen im Beruf oder privaten Alltag geht. Die Vision des automatischen Fahrens ist nicht neu. Schon seit etwa 30 Jahren arbeiten Forscher und Entwickler an der Umsetzung dieser Vision. Aktuell sollen die ersten Fahrzeuge in Kürze auf den Markt kommen, in denen man sich zumindest auf der Autobahn zeitweise automatisch fahren lassen kann und die Zeit für andere Dinge nutzen kann. Dem Kunden wird dabei versprochen, dass das Fahren sicherer, schneller und angenehmer wird. Welche Erwartungen darf man tatsächlich haben? Wie ist diese Vision aus psychologischer Sicht zu bewerten? Bei den Vorstufen des automatischen Fahrens, der sogenannten Teilautomation, muss der Fahrer die Automation überwachen. Das Fahren ändert sich dadurch. Der Fahrer ist nicht mehr aktiver Fahrzeuglenker, sondern ein Zuschauer, der die Automation überwachen soll. Langjährige Forschung auf diesem Gebiet zeigt allerdings, dass Menschen als Überwacher nicht sehr leistungsfähig sind und diese Art von Tätigkeiten eher als anstrengend und unbefriedigend erleben. Diese Art von Automation erscheint damit aus psychologischer Sicht unbefriedigend und kontraproduktiv. Anders ist es mit der Hochautomation, bei der man der Automation zumindest zeitweise vertrauen kann. Hier entsteht ein echter Gewinn an Zeit, die der jetzt Mitfahrende frei nutzen kann. Nicht realistisch erscheinen allerdings die Versprechen, dass damit der Verkehr sicherer wird, da diese Form der Automation in absehbarer Zeit nur in Situationen funktionieren wird, in denen auch menschliche Fahrer außerordentlich sicher fahren. Hinzu kommt, dass eine flächendeckende Ausstattung mit Hochautomation erst nach Jahrzehnten zu erwarten ist. Zudem ist der sichere Betrieb nur in wenigen Situationen (sehr gut ausgebaute Autobahnen mit idealen Wetter- und Sichtbedingungen) möglich. Der subjektive Nutzen für den Autofahrer bleibt damit leider noch einige Zeit gering und unbefriedigend. Die Vision des schnellen, sicheren und angenehmen automatischen Fahrens wird daher leider noch für einige Jahre, vermutlich eher Jahrzehnte, weiter eine Vision bleiben.

Lecturer

Prof. Dr. Mark Vollrath, TU Braunschweig

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