29. April 2020 | Presseinformationen:

Mathematik für Innovationen TU Braunschweig erhält knapp 1 Million für mathematikbasierte KI

Ob Lieferketten in der Logistik, Sensornetzwerke in Kläranlagen oder Vorhersagen auf Basis von Molekül-Datenbanken: In der Industrie müssen häufig große und komplexe Datenmengen verarbeitet werden.  Wie das mit mathematikbasierter Künstlicher Intelligenz (KI) funktionieren kann, untersuchen Mathematikerinnen und Mathematiker der Technischen Universität Braunschweig jetzt praxisnah in zwei Verbundprojekten.

Im Verbundprojekt LeoPlan beschäftigen sich Professor Sebastian Stiller und Professor Christian Kirches vom Institut für Mathematische Optimierung damit, wie mathematikbasierte KI Vorhersagen treffen kann – für Grenzwertüberschreitungen in einer Kläranlage und für Netzwerke in der Logistik trotz Planungsunsicherheiten. Dafür entwickeln sie Lösungen, um maschinelle Lernverfahren und modellbasierte Verfahren miteinander zu verbinden. „Maschinelles Lernen alleine kann bestimmte Probleme nicht lösen. Es gibt Bereiche, die sich besser mithilfe von Modellen, beispielsweise von physikalischen Gesetzen, beschreiben lassen. Wir befassen uns bei LeoPlan mit Problemen von drei Industriepartnern, die sich nur zum Teil gut mit Modellen beschreiben lassen. Wir wollen sie mit einem hybriden Verfahren, einer Kombination aus modellbasierten Verfahren und maschinellem Lernen lösen“, erklärt Projektleiter Sebastian Stiller. „Ein weiteres Ziel des Projektes ist es, in den Modellen zwei Bereiche der Mathematik, nämlich die diskrete und die kontinuierliche Mathematik, zusammenzubringen.“

Die Lösungen sollen in drei Anwendungsbereichen aus der Logistik und der chemischen Industrie zum Einsatz kommen, zum Beispiel in einer chemisch-verfahrenstechnischen Anlage. Dort befindet sich ein großes Sensornetz mit mehr als 50.000 Sensoren, die kontinuierlich Messwerte wie Temperatur, Druck oder PH-Werte liefern. Diese Datenreihen wurden bisher gesammelt, aber nicht systematisch verarbeitet. Die Mathematikerinnen und Mathematiker wollen jetzt einen Algorithmus entwickeln, um vorhersagen zu können, bei welcher Kombination von Sensormesswerten bestimmte Grenzwerte am Ausgang der im Werk befindlichen Kläranlage überschritten werden. „Die chemischen Reaktionen und verfahrenstechnischen Prozesse können wir gut mit mathematischen Modellen beschreiben. Wir wissen aber nicht, welche Sensormesswerte zu einer Grenzwertüberschreitung führen. Dafür entwickeln wir ein maschinelles Lernverfahren, das auf die Sensorzeitreihen trainiert wird und die Verletzung von Grenzwerten vorhersagen kann. An diesem Beispiel sieht man gut, wie die beiden Bereiche zusammengebracht werden“, erklärt Christian Kirches. Im zweiten Teilprojekt geht es um Vorhersagen in Logistiknetzwerken. Die Herausforderung dabei sind verschiedene Unsicherheiten, beispielsweise bei den Bedarfen, wie Sebastian Stiller sagt: „Wir wissen zum Beispiel nicht genau, wie viel von einem Produkt nachgefragt wird und deshalb auch nicht, wie viele Teile wo vorgehalten werden sollten. Der Algorithmus soll berechnen, wo und wie viele Sicherheitsbestände aufgenommen werden sollen. Wir suchen dabei eine Art von Zehnkämpfer, der zwar nicht die beste, aber eine sehr gute Lösung für möglichst viele unterschiedliche Szenarien ist.“ Das Verbundprojekt LeoPlan wird federführend von der TU Braunschweig gemeinsam mit der Universität Bonn und Industriepartnern durchgeführt.

Moleküleigenschaften vorhersehen

Wie mithilfe von mathematikbasierter KI die Eigenschaften von Molekülen vorausgesagt werden können, damit beschäftigt sich das Projekt MaGriDo, an dem auch Professor Dirk Lorenz vom Institut für Analysis und Algebra beteiligt ist. Die beiden Industriepartner des Projekts entwickeln neue Moleküle für Lacke und Gläser. Dabei entstehen sehr große Molekül-Datenbanken, in denen die Eigenschaften der Moleküle wie Farbe, Aggregatzustand oder Schmelzpunkt festgehalten sind. Bisher gibt es keine allgemeine Methode, die für ein mögliches Molekül berechnet, wie sich das Molekül später als Lack oder Glas verhält. Hier setzt das Projekt MaGriDo an: Die Mathematikerinnen und Mathematiker entwickeln einen Algorithmus, der mithilfe der Datenbank Vorhersagen machen soll, welche Eigenschaften ein neu entwickeltes Molekül oder eine Kombination von neuen Molekülen haben wird.

Dabei soll Domänenwissen eingebracht werden. Das heißt, dass man zum Beispiel von bestimmten Verbindungen weiß, dass sie nicht funktionieren oder dass sie ein ganz bestimmtes Materialverhalten haben. Dieses Wissen soll beim maschinellen Lernen integriert werden. „Das Ziel ist es, dass man dem Algorithmus eine Molekülstruktur gibt und er dann unter Einbezug des Domänenwissens berechnet, was für Eigenschaften das Molekül wahrscheinlich hat“, erklärt Dirk Lorenz. „Den Algorithmus entwickeln wir zusammen im Verbundprojekt. In dem Teilprojekt an der TU Braunschweig kümmern wir uns um die Optimierung, also darum, den Trainingsprozess so effizient wie möglich zu gestalten.“ Das Projekt MaGriDo wird federführend von der Universität Bonn durchgeführt. Neben der TU Braunschweig sind die TU Berlin und Industriepartner beteiligt.