7. April 2020 | Magazin:

Kinderstress, Hosencheck und Styrocutter Nachgefragt bei Professorin Vanessa Miriam Carlow

Sie erforscht und gestaltet nachhaltige Stadtentwicklung im internationalen und interdisziplinären Kontext: Professorin Vanessa Miriam Carlow. Sie leitet das Institute for Sustainable Urbanism (ISU) der TU Braunschweig und ist Sprecherin des Forschungsschwerpunkts „Stadt der Zukunft“. Wir haben mit Professorin Carlow über Forschung und Lehre in Corona-Zeiten gesprochen und wie man Home-Office und „Homebespaßung“ als Alleinerziehende unter einen Hut bekommt.

Frau Professorin Carlow, Sie haben für das internationale Forschungsprojekt EAST-Cities gerade einen Antrag auf Verlängerung der Förderung abgegeben. War es eine besondere Herausforderung, dies vom Home-Office aus zu erledigen?

Professorin Vanessa Miriam Carlow mit Kind unterwegs in Berlin. Bildnachweis: Prof. Vanessa Miriam Carlow/TU Braunschweig

Erst einmal war es eine besondere Herausforderung, da das Projekt eine Kooperation mit der Tongji-Universität in Shanghai und verschiedenen Praxispartnern vor Ort in Qingdao ist. Das Thema „Corona“ beschäftigt uns daher bereits seit Anfang des Jahres ganz intensiv. Geplant waren für dieses Frühjahr gemeinsames „field work“, eine Konferenz in China und weitere Workshops in Braunschweig. Gerade die letzten beiden großen Treffen konnten dadurch nicht stattfinden. Das war für uns alle sehr traurig, da wir uns auf unsere Kolleginnen und Kollegen gefreut haben und auch viel Zeit in die Organisation gesteckt hatten. Viele wichtige Partner, wie zum Beispiel die Direktoren des Qingdao Urban Planning and Design Research Instituts und des Surveying and Mapping Instituts Qingdaos wären dabei gewesen.

Während wir anfangs wirklich sehr besorgt waren um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort, zum Beispiel Weijun Lu oder Panyu Zhu aus unserem TU-BS-Team und auch unsere vielen chinesischen Kolleginnen und Kollegen, hat uns Corona ganz schnell selbst eingeholt.

Hinzu kam jetzt für mich persönlich, dass die Kita seit drei Wochen geschlossen ist. Davor war mein Kind eine Woche krank. Und das in der heißen Antragsphase, wo zum Schluss alles aus dem gesamten Konsortium zusammengeführt werden muss. Das war schon eine besondere Anstrengung. Aber wir haben das hinbekommen! Mit „wir“ meine ich das ISU-Team und all die anderen am Antrag Beteiligten – danke!

Wie hat die Kommunikation mit den Projektpartnern funktioniert?

Wir kennen uns alle durch die erste Projektphase inzwischen seit knapp drei Jahren. Und es gibt sogar einige Leute im Team, die sich bereits seit 20 Jahren oder länger kennen und befreundet sind. Mit Webkonferenzen, SMS und Telefonaten hat die Kommunikation gut geklappt.

Und auch bei den neuen Partnern – der Stadt Qingdao mit dem Urban Planning and Design Research Institut, dem Surveying and Mapping Institute und dem Sino-German Ecopark (SGEP) – haben wir in Workshops genug Vertrauen aufgebaut, so dass wir schließlich das Memorandum of Understanding digital unterzeichnen konnten.

Wie geht es mit anderen Forschungsprojekten weiter? Wie arbeiten Sie jetzt am ISU?

Wir haben eine Reihe von Projekten, die wir in diesem Jahr abschließen wollen. Wir haben am ISU viele Formate mit Bürgerinnen und Bürgern oder Mitarbeitenden in Städten und Kommunen. Da müssen wir jetzt natürlich umsteuern, uns kluge Lösungen überlegen und die Projektträger davon überzeugen, dass große Workshops auf absehbare Zeit nicht möglich sind.

Wir haben aktuell auch Probleme bei der Neubesetzung offener Stellen. Inzwischen haben wir einige sehr gute Kandidatinnen und Kandidaten gefunden, die aber zum Teil im Ausland sind und es ist natürlich schwierig für den Jobstart, wenn man über Wochen keine Möglichkeit hat, das Team oder den eigenen Arbeitsplatz kennenzulernen.

Heute mal alle in Rot: das ISU-Team bei seiner morgendlichen Video-Konferenz. Bildnachweis: Prof. Vanessa Miriam Carlow/TU Braunschweig

Wie bereiten Sie sich auf die Lehre vor?

Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir vor einigen Jahren bereits genug Erfahrung sammeln konnten, da wir an den TU9-MOOCs beteiligt waren. Für Vorlesungen haben wir also einen Teil digital vorliegen. Das wollen wir zwar weiter ausbauen, aber wir haben schon die technische Expertise und Kompetenz. In vielen Seminaren im Städtebau setzen wir uns mit digitalen Werkzeugen auseinander. Diese kann man relativ leicht auf Online-Formate umstellen.

Die Hauptformate in der Architektur sind jedoch die „Studios“, in denen die Studierenden an ihren Entwürfen arbeiten. Ich hatte auch gerade eine Webkonferenz mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Architektur, in der wir überlegt haben, wie wir die Korrektur – das gemeinsame auf den Plan, auf Grundrisse und Modelle etc schauen – künftig online bewerkstelligen können. Hier steht das Department Architektur ganz konkret vor der Herausforderung, dass wir sehr viele Studierende haben und dass gleichzeitig eine Einzelbetreuung oder die Arbeit in kleinen Gruppen zur sehr hohen Qualität unserer Lehre maßgeblich beiträgt.

Grundsätzlich ist das ISU für das Sommersemester aber sehr gut aufgestellt. Wir können unsere Lehrangebote so umstellen, dass Studierende sie allein von zu Hause bearbeiten können, ohne zum Beispiel ein physisches Modell bauen zu müssen.

Gerade im Modellbau wird es sicherlich schwierig. Die Modellbauwerkstatt ist ab dem 20. April eingeschränkt geöffnet, die Zeichensäle bis auf Weiteres geschlossen.

Wir können uns gut vorstellen, dass Studierende zum Beispiel für ein paar Stunden die Styrocutter des Instituts nutzen und dort auch bauen oder sich die Styrocutter vielleicht auch ausleihen, natürlich alles unter Einhalt der Hygieneregeln. Das müssen wir aber noch genau durchdenken.

Ich habe gehört, dass es bei Ihren täglichen ISU-Videokonferenzen  einen „Hosencheck“ gibt. Wie kann ich mir das vorstellen?

(lacht) Wir treffen uns jeden Morgen um neun Uhr im Chat. Das war gerade am Anfang sehr wichtig, da wir im Institut Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz unterschiedlicher Nationalitäten haben, zum Beispiel auch aus Syrien und den USA. Wir wollten im Rahmen der Möglichkeiten Sicherheit geben und die Informationen, die von der TU Braunschweig kamen, aber auch von der Bundesregierung oder aus den Medien, übersetzen und darüber sprechen, was es eigentlich für alle bedeutet.

Wir achten darauf, dass es allen Team-Mitgliedern gut geht und berichten jeden Morgen, woran jede oder jeder gerade arbeitet, aber auch wie das Wochenende war. Und der Hosencheck entstand an einem Freitag als Idee, um mal zu schauen, ob nicht alle eine Schlafanzughose anhaben. Es war eigentlich lustig gemeint und ein Spaß, da man sich ja nur noch ab der Hüfte aufwärts sieht. Einige hatten dann tatsächlich eine Jogginghose an.

Aber egal, was wir gerade im Home-Office tragen: Wir arbeiten weiter und haben eher noch mehr zu tun als vor der Pandemie.

Aus welchen Orten arbeitet das ISU-Team momentan?

Aus Hildesheim, Wolfsburg, Braunschweig und Berlin.

Ein seltener Anblick: das Brandenburger Tor in Berlin ohne große Menschenmengen. Bildnachweis: Prof. Vanessa Miriam Carlow/TU Braunschweig

Sie sind alleinerziehende Mutter eines zweieinhalbjährigen Kindes. Das ist bereits ohne Pandemie fordernd. Wie gelingt es Ihnen jetzt, Home-Office und „Homebespaßung“ zu vereinbaren?

Das ist gerade etwas schwierig. Vor allem vor dem Hintergrund, dass wir für den Antrag der Verlängerung des EAST-Cities-Projekts die Deadline einhalten mussten. Dabei war ich die Hauptantragstellerin.

Ich bin deshalb sehr früh aufgestanden, also um zwei oder drei Uhr nachts, auch am Wochenende. So konnte ich in Ruhe arbeiten, bevor mein Kind aufgewacht ist. Das war eine Lösung für die vergangenen Wochen, dauerhaft ist das nicht möglich. Auch über den Tag gibt es genug zu tun: Videokonferenzen, Abstimmungen zu neuen Formaten usw.

Ich muss gestehen, dass mein Kind auch sehr viel am Laptop „Biene Maja“ gesehen hat. Das geht einfach nicht anders. Neben der Arbeit muss man auch kochen, den Haushalt weiter erledigen. Das ist wirklich eine Herausforderung! Am ISU gibt es viele Eltern.

Haben Sie Tipps für andere Alleinerziehende?

Ich kann nur empfehlen, kein schlechtes Gewissen zu haben. Ich telefoniere viel mit meiner Mutter und meiner Schwester. Wir sprechen über die Situation. Normalerweise ist mein Kind auch oft bei Oma und Opa, was im Augenblick leider nicht geht. Ich tausche mich mit Freundinnen aus, die ebenfalls mit Home-Office und Kinderbetreuung beschäftigt sind.

Ich finde es normal und cool, eine arbeitende Mutter zu sein und eine Professorin. Ich glaube, dass man das Kindern auch sehr gut vorleben kann, dass es die Arbeit gibt und dass die wichtig ist. Ich habe ja auch eine Verantwortung gegenüber meinem Team und unserer Universität. Und die Arbeit bringt mir einfach auch Freude!