4. März 2021 | Magazin:

Von Beton bis Batterien Professor Ralf Jänicke ist neuer Leiter des Instituts für Angewandte Mechanik

Wann muss ein Stahlbetonträger ausgetauscht oder saniert werden? Wann wird das Material spröde? Das sind Fragen, mit denen sich Professor Ralf Jänicke in seiner Forschung beschäftigt. Der neue Leiter des Instituts für Angewandte Mechanik entwickelt Simulationsverfahren, mit denen man vorhersagen kann, wie sich ein bestimmtes Material verhält oder wann es beispielsweise zerbricht. Im Interview hat er Bianca Loschinsky erzählt, warum Mechanik nicht gleich Mechanik ist, was ihn an seinem Forschungsgebiet besonders begeistert und welche Pläne er für die Lehre hat.

Professor Ralf Jänicke leitet das Institut für Angewandte Mechanik. Bildnachweis: Kristina Rottig/TU Braunschweig

Herr Professor Jänicke, Sie leiten seit dem 15. Februar das Institut für Angewandte Mechanik der TU Braunschweig. Mechanik ist für Sie …?

Mechanik ist für mich ein wahnsinnig facettenreiches und spannendes Forschungsgebiet. Es ermöglicht mir, mit sehr unterschiedlichen Disziplinen zusammenzuarbeiten: Physik, Materialwissenschaften, numerische Mathematik, Umweltingenieurwissenschaften, Geowissenschaften. Mechanik klingt zwar für viele sehr vertraut, hat aber nichts mit Zahnrädern zu tun. Tatsächlich leitet es sich aus der klassischen Physik ab.

Sie waren bis vor kurzem Associate-Professor in Solid and Structural Mechanics an der Chalmers University of Technology in Göteborg. Warum haben Sie sich für die TU Braunschweig entschieden?

Die TU Braunschweig hat ­– auch als Teil der TU9 – eine sehr große Strahlkraft und Sichtbarkeit, die zum Beispiel auch in Schweden wahrgenommen wird. Was mich hier besonders reizt, ist eine enge Verzahnung der verschiedenen Fachbereiche. Davon erhoffe ich mir, mit ganz neuen Themen in Berührung zu kommen. Zudem ist das Institut, das ich übernehmen durfte, sehr gut ausgestattet, so dass ich mir hier neue Forschungsbereiche erschließen kann.

Was mich von Anfang an auf der zwischenmenschlichen Ebene angesprochen hat, war der Kontakt zu den Kolleg*innen in der Fakultät 3: Sie waren alle außerordentlich interessiert und wertschätzend.

Und abseits von Forschung und Lehre freue ich mich auch auf die Stadt und das Umland, genauso wie meine Familie.

Sie haben gerade die gute Ausstattung am Institut angesprochen. Auf was freuen Sie sich am meisten?

Auf das Labor. Ein Alleinstellungsmerkmal des Instituts sind die 3D-Bildgebungsverfahren. Wir haben im Labor ein Mikro/Nano-CT stehen. Dazu habe ich schon viele Ideen, wie man es weiterentwickeln kann. Und wir haben etliche hochwertige Geräte zum 3D-Druck. Dazu kommt, dass ich das Labor nicht bei null aufbauen muss, sondern eine sehr gute Basis vorfinde.

In Schweden hatte ich eine tolle numerische Ausstattung, jedoch kein Labor. Das ist ein ganz neuer Aspekt, den ich auch sehr vermisst habe, gerade als gelernter Werkstoffwissenschaftler.

Sie forschen an numerisch effizienten Simulationsverfahren für gekoppelte Mehrskalenprobleme mit Anwendungen in den Bauingenieur- und Materialwissenschaften sowie der Geotechnik und der Geophysik. Wie würden Sie Ihre Arbeit jemanden wie mir erklären, die nicht aus Ihrem Bereich kommt?

Meine Forschung ist ein Dreiklang aus experimentellen Verfahren, mathematischer Beschreibung des Materialverhaltens und der Entwicklung von effizienten Simulationsmethoden. Ziel ist es, Tools zu entwickeln, mit denen wir vorhersagen können, wie sich ein bestimmtes Material verhält oder wann es zum Beispiel kaputtgeht.

Ein klassisches Beispiel aus dem Bauingenieurwesen: Bei einem Stahlbetonträger möchten wir wissen, wann er ausgetauscht oder saniert werden muss. Wir wollen also den Zustand des Trägers voraussagen können. Die Herausforderung dabei ist: Man muss erst einmal komplexe elektrochemische und hydromechanische Prozesse auf der Mikrometerskala beschreiben, verschiedene Längenskalen miteinander verknüpfen, bis man schließlich auf der Bauteilskala angelangt ist. Ziel ist, den Schaden vorherzusagen, bevor er auftritt.

Das langfristige Ziel sind daher digitale Zwillinge, also ein virtuelles Abbild der Prozesse. Damit könnten wir nach relativ kurzer Rechenzeit vorhersagen, was in zehn Jahren an einem Stahlbetonträger passiert.

Was hat Sie dazu bewogen, in diesem Bereich zu forschen?

Das hat sich tatsächlich eher zufällig durch den Austausch mit anderen Wissenschaftler*innen ergeben. Wir haben in der Mechanik eine gute Toolbox an Methoden und sind immer neugierig auf Anwendungen. Es ist erstaunlich, auf wie viele verschiedene Bereiche und Probleme man unsere Methoden und Verfahren anwenden kann. Ich bin ein großer Freund davon, nicht alles zu planen, sondern auch dem Zufall eine Chance zu geben. Ich finde, das hält mich offen für neue Themen.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag in drei Schlagworten aus?

Momentan haben wir natürlich alle einen etwas anderen Arbeitsalltag. Aber wenn ich mit drei Schlagworten zusammenfassen würde, wie ich mir einen Arbeitsalltag vorstelle, wenn die Pandemie vorüber sein wird, dann sähe das so aus: Eine Tasse Tee oder Kaffee trinken, sich einen Überblick verschaffen, loslegen!

Was war Ihr schönstes Erlebnis als Wissenschaftler?

Die schönsten Erlebnisse sind sehr seltene, kurze aber kostbare Momente, auch wenn man danach meistens wieder auf andere Herausforderungen stößt. Aber die schönsten Momente sind die, wenn man wochenlang über etwas brütet und auf einmal fügt sich alles wie ein Puzzle zusammen. Man hat nicht nur eine Lösung parat, sondern das Ergebnis strahlt im besten Fall auch noch eine gewisse Schönheit, beispielsweise durch seine Einfachheit, aus. Das sind unheimlich beglückende Momente.

Und was begeistert Sie an Ihrer Forschung?

In meinem Forschungsgebiet schätze ich sehr die Vielfältigkeit sowie die Anschlussfähigkeit und dadurch die vielen Themen, auf die man unvermittelt stößt und wie gut man mit anderen Fächern in Kontakt und Austausch kommen kann. Insgesamt ist meine Tätigkeit sehr facettenreich: Eine Zeitlang stehe ich im Labor, dann brüte ich wieder über mathematischen Formulierungen und in einem anderen Teil meiner Forschungszeit setze ich mich mit numerischen Verfahren auseinander.

Mit welchen Forschungsschwerpunkten und Projekten werden Sie sich an der TU Braunschweig auseinandersetzen?

Ein Schwerpunkt wird sich mit den Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf verschiedene Baustoffe und Geomaterialien beschäftigen. Unter anderem werden wir den Effekt von Frost-Tau-Zyklen untersuchen, der bei Beton und Gestein eine Rolle spielt. Hier werden wir Experimente im Bereich der 3D-Bildgebung durchführen und gleichzeitig Simulationsverfahren weiterentwickeln.

Der zweite Schwerpunkt wird sich mit 3D-Druckverfahren auseinandersetzen. Und im dritten Schwerpunkt simulieren wir Prozesse, die in Strukturbatterien ablaufen. Dieses Thema bringe ich aus Göteborg mit. Es dreht sich dabei um eine spezielle Art von Leichtbaubatterien.

Das ist eine große Bandbreite – von Beton bis Batterien.

Ja, aber das Schöne ist: Ob Beton, Gestein oder Batterie – die mathematische Beschreibung und die Simulationsverfahren ähneln sich.

Was planen Sie für die Lehre?

In der Lehre stellt sich grundsätzlich die Frage, ob wir nach der Pandemie wieder zurück zu dem Status quo ante kehren. Und was von dem Digitalisierungsschub bestehen bleibt. Das kommende Jahr wird sehr spannend.

In den Studiengängen, an denen das Institut in den Studiengängen Bau- und Umweltingenieurwesen sowie Computational Sciences in Engineering (CSE) beteiligt ist, möchte ich gern neue Akzente setzen und mich verstärkt in englischsprachige Veranstaltungen einbringen. Dadurch, dass ich eine Zeitlang im Ausland gearbeitet habe, bringe ich eine gewisse Affinität dafür mit. An der Chalmers University finden die Bachelor-Veranstaltungen im ersten und zweiten Jahr auf Schwedisch, das dritte auf Englisch statt. Die Masterprogramme sind grundsätzlich auf Englisch.

Noch ein Ausblick auf die Zukunft: Für welches Problem würden Sie gern eine Lösung entwickeln?

Ich arbeite in einem Grundlagenfach. Da ist es mit den großen Zielen gar nicht so einfach, weil wir häufig eine Mittlerrolle einnehmen. Wir bieten sozusagen Lösungsstrategien für die Probleme anderer Leute an. Als meine Vision sehe ich, sinnvolle Simulationsverfahren zu entwickeln, die es ermöglichen, nachhaltige Produkte und Verfahren zu etablieren. Deshalb reizen mich auch gerade die Themen Batterie und Geowissenschaften.